Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
sich wie eine Flut gelösten Haares über das
Bett. Sergius überließ seine krankheitsmageren Hände dieser
Zärtlichkeit, schloß halb die Augen und fühlte, wie
Feuerliebkosungen an jedem seiner Finger entlang rannen; ganz
eingehüllt in Licht lag er, gestirnumarmt. Als dann Albine sich
über ihn neigte:
    »Laß mich,« stammelte er mit festgeschlossenen Augen, »umarme
mich nicht so fest… Wie kommt es, daß du mich so ganz und gar in
deine Umarmung einhüllen kannst?« Dann schwand die Sonne vom Bett
und zog langsam nach links hinüber. Sergius folgte ihr mit dem
Blick, sah sie zaudernd auf allen Sesseln niedersinken, bedauerte,
sie auf seiner Brust nicht festgehalten zu haben. Albine war am
Bettrand verblieben. Gemeinsam sahen sie, sich umschlugen haltend,
dem Verblassen des Himmels zu. Es war, als durchbleichten ihn
Schauer der Unendlichkeit, zitternd in jäher Rührung.
    Sergius' Mattigkeit fand sich in dieser Himmelsstimmung leichter
zurecht, er entdeckte erlesene, nie geahnte Farbenspiele. Es gab da
nicht nur Bläue, sondern rosige, bläulichrote, gelbliche Tönungen,
eine lebendigweite, unberührte
Fleischesnacktheit, die atembebend sich hob wie der Busen einer
Frau. Bei jedem neuen Hinsehen boten sich ihm in der Ferne andere
Überraschungen, unbekannte Luftgebiete taten sich auf, sanft
geschwellte Rundungen entzückten ihn, leises Lächeln,
halbentschleierte Paradiese, die Wunderleiber großer Göttinnen
bargen. Und so flog er leidenserleichtert auf in die schillernden
Seiden, den Unschuldsflaum des Azur. Diese Empfindungen überflogen
unbestimmt sein krankheitsmattes Wesen. Die Sonne sank; golden
schmolz die Bläue hin, immer mehr erblaßte die lebendige Haut des
Himmels, verging langsam in allen Schattenfarben. Kein Gewölke,
jungfräuliches Schlafentgleiten und Entkleiden, nur Keuschheit
überstreifte noch den Horizont. Der große Himmel schlief.
    »Der liebe Junge!« sagte Albine und betrachtete Sergius, der mit
dem Himmel in Schlaf versunken war.
    Sie bettete ihn und schloß die Fenster. Am nächsten Tag aber
standen sie von früh an wieder offen. Sergius konnte die Sonne
nicht mehr entbehren, seine Kräfte nahmen zu und er gewöhnte sich
an den Luftzug, der die Vorhänge des Alkovens blähte. Die
Himmelsbläue, dies ewige Blau, begann ihn sogar zu langweilen. Er
wurde es müde, unaufhörlich schwanenweiß die klare Himmelssee zu
durchschwimmen. Er kam dazu, sich einen Flug schwarzer Wolken zu
erwünschen, irgendeinen Wolkenturm, der das Eintönige dieser großen
Reinheit unterbräche. Im Maße, wie er gesundete, verlangte es ihn
nach kräftigen Eindrücken. Stunden brachte er jetzt mit Betrachten
des übergrünten Astes hin; vor seinem Blick hätte er ihn wachsen
sehen mögen, sich entfalten, so daß Zweige sich sogar bis zu seinem Lager streckten. Er genügte ihm
nicht mehr, sein Verlangen wurde nur angestachelt, da er ihm von
den anderen Bäumen redete, deren klingenden Ruf er vernahm, ohne
ihre Wipfel gewahren zu können. Nicht endenwollendes Blätterraunen
drang zu ihm, die Geschwätzigkeit fließender Wasser,
Flügelschlagen, zitternd anhaltender Laut des Lebens.
    »Kannst du erst aufstehen,« sagte Albine, »mußt du dich ans
Fenster setzen… dann siehst du den schönen Garten.« Er schloß die
Augen und flüsterte: »Oh, ich seh' ihn, ich höre ihn… Ich weiß, wo
die Bäume wachsen, wo die Bäche fließen und die Veilchen blühen.«
Dann begann er wieder: »Aber ich seh' ihn nicht genau, lichtlos
seh' ich ihn… Um bis ans Fenster gehen zu können, muß ich sehr
kräftig sein.« Manchmal, wenn sie ihn schlafend glaubte, wurde
Albine für Stunden unsichtbar. Bei ihrer Rückkunft fand sie ihn
dann mit vor Neugier funkelnden Augen, eine Beute der Ungeduld. Er
rief ihr entgegen: »Wo warst du?« Und berührte ihre Arme, sog den
Duft ihrer Kleider ein, ihres Munds, ihrer Wangen.
    »Du riechst nach allerhand guten Dingen… Du bist übers Gras
gegangen, nicht wahr?«
    Sie lachte und zeigte ihm ihre taufeuchten Schuhe.
    »Du kommst aus dem Garten, du kommst aus dem Garten,«
wiederholte er beglückt. »Ich wußt' es wohl. Als du hereinkamst,
warst du wie eine große Blume… Du bringst mir den ganzen Garten mit
herein.« Er ließ sie nicht aus seiner Nähe und sog ihren Duft ein
wie den Duft eines Straußes. Öfter hatten sich Ranken, Blätter,
kleine Äste in ihren Kleidern verfangen; dann las er diese Dinge ab
und versteckte sie wie Kostbarkeiten unter seinem Kopfkissen. Eines Tages brachte

Weitere Kostenlose Bücher