Die Sünde des Abbé Mouret
sie ihm einen Busch
Rosen. Er brach in Tränen aus vor Entzücken, küßte die Blumen und
bettete sie neben sich. Als sie zu welken begannen, betrübte es ihn
derart, daß er Albine verbot, andere zu pflücken. Sie war ihm noch
lieber, ebenso frisch und duftend war sie und welkte nicht; ihre
Wangen, Haare, Hände behielten immer ihren Duft.
Zu guter Letzt schickte er sie selbst in den Garten mit der
Ermahnung, vor einer Stunde nicht wieder heraufzukommen.
»Siehst du,« sagte er, »auf diese Art habe ich Sonne, Luft und
Rosen bis zum nächsten Tag.« Oftmals, wenn sie außer Atem
zurückkam, fragte er sie aus. Welchen Weg war sie gegangen? War sie
unter den Bäumen oder am Wiesenrand entlanggegangen? Hatte sie
Nester gesehen? Hatte sie sich hinter einem Rosenbusch ausgeruht
oder unter einer Eiche oder gar im Schatten einer Pappelgruppe?
Stand sie ihm dann Rede und versuchte, ihm den Garten zu schildern,
legte er ihr die Hand auf den Mund.
»Nein, nein, sei still,« murmelte er. Es ist unrecht von mir,
Fragen zu stellen … Ich will lieber selbst zusehen.« Und er
verfiel wieder in den Lieblingstraum vom Grün, das er in nächster
Nähe spürte. Ganze Tage spann er sich ein in diesen Traum. In der
ersten Zeit, versicherte er, habe er den Garten deutlicher gesehen.
Je mehr seine Kräfte zunahmen, je mehr verwirrte sich auch sein
Traumbild im aderwärmenden Blutandrang. Seine Zweifel wuchsen; er
konnte nicht mehr sagen, ob zur Rechten Bäume ständen, ob Wasser in
der Tiefe vorüberflossen, ob unter seinem Fenster sich nicht große
Felsen türmten. Ganz leise ging er mit
sich darüber zu Rate. Aus den kleinsten Anzeichen formte er
wundersame Pläne, die ein Vogellied, ein Ästekrachen oder
Blumenduften ihn umformen ließen; hier wurde ein Fliedergebüsch
umgepflanzt, etwas weiter ein Rasen zu Blumenbeeten gewandelt.
Allstündlich entwarf er einen neuen Garten zur großen Belustigung
Albines, die ihm immer wieder sagte, wenn sie ihn überraschte:
»So ist er gar nicht, versichere ich dir. Du kannst dir das gar
nicht ausdenken. Es ist schöner als alles Schöne, das du gesehen,
das du dir träumen kannst … Zerbrich dir doch den Kopf nicht.
Der Garten gehört mir, ich werde ihn dir schenken; beruhige dich
nur, er läuft dir nicht davon.«
Sergius, der sich vor dem Licht schon gefürchtet hatte, war
voller Unruhe, als er sich stark genug fühlte, um ans Fenster zu
gehen. Jeden Abend sagte er sich »morgen« also. Erschauernd drehte
er sich der Wand zu, wenn Albine bei ihrer Rückkehr ihm zurief, sie
röche nach Hagedorn; die Hände habe sie sich zerkratzt beim
Durchbrechen der Hecken, um ihm den ganzen Duft mitzubringen. Eines
Morgens faßte sie ihn plötzlich in die Arme und trug ihn fast zum
Fenster, stützte ihn und zwang ihn hinauszusehen.
»Bist du ein Hasenfuß!« sagte sie mit schönem, volltönendem
Lachen.
Und sie wies mit lebhafter Hand nach allen Windrichtungen und
wiederholte mit Siegermienen, reich an zärtlichen
Versprechungen:
»Das Paradies! Das Paradies!«
Sergius konnte kein Wort herausbringen; er sah hinaus.
Kapitel 4
Links, rechts, geradeaus, überall ein grünendes Meer. Ein Meer,
dessen Blätterwellen bis zu den Horizonten wogten, ungehemmt durch
Häuser, Mauern, staubige Straßen. Ein jungfräulich-verlassen
heiliges Meer, das seine milde Wildheit in einsamer Unschuld
breitete. Nur die Sonne drang hinein und wand Goldtücher
wiesenüber, streifte entlang den Alleen mit übermütigen
Strahlenzügen, schlang von Baum zu Baum ihre köstlichen
Flammenhaare, trank aus den Quellen mit hellen Lippen, unter denen
das Wasser erzitterte. In diesem Flammenstäuben lebte der Garten im
Überschwang eines seligen Tieres in aller Ferne, aller Freiheit, am
Ende der Welt. Solche Blätterunmengen wogten, ein so dichtes
Pflanzenmeer überschäumte ihn, daß er von einem Ende zum anderen in
Fluten begraben schien. Wohin das Auge sah, nichts als grüne Hänge,
wie Quellstrahlen aufgeschleuderte Stengel, flockenkrause
Blättermassen, dicht zugezogene Walddraperien, bodenüberschleifende
Schlingpflanzenschleppen und riesenhoch aufflackernde Zweige, die
nach allen Seiten sich breiteten.
Kaum vermochte man, je länger man hinsah, in diesem saftreich
ungeheueren Wuchern den ursprünglichen Plan des Paradeis zu
entdecken. Gegenüber, in einer Art riesigen Arena mußte wohl der
Blumengarten sich finden mit seinen geborstenen Wasserbecken,
zerbrochenen Rampen, Treppen, den umgestürzten Statuen, deren
Weitere Kostenlose Bücher