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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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ich dir ja erzählen. Hier in der Gegend hab' ich
sie gehört; vielleicht ist sie gar nicht wahr, aber hübsch ist sie
doch.«
    Und sie setzte sich neben Sergius.
    »Vor vielen, vielen Jahren gehörte das Paradeis einem reichen,
vornehmen Herrn, der sich mit einer Dame von großer Schönheit dort
vergrub. Die Tore des Schlosses waren so wohl verschlossen, die
Gartenmauern so hoch, daß niemand je auch nur den kleinsten
Schleppenzipfel jener Dame zu sehen bekam.«
    »Ich weiß,« unterbrach Sergius. »Nie wieder ist die Dame zum
Vorschein gekommen.«
    Da Albine ihn verwundert betrachtete, geärgert darüber, daß ihre
Geschichte ihm schon bekannt war, fuhr er halblaut fort, selbst
erstaunt:
    »Die Geschichte hast du mir schon erzählt.«
    Sie widersprach; dann schien sie sich eines Besseren zu besinnen
und ließ sich überzeugen, was nicht hinderte, daß sie ihre
Erzählung mit den Worten endete:
    »Als der Herr das Schloß verließ, waren
seine Haare weiß. Alle Öffnungen ließ er vermauern, damit nichts
die Ruhe der Dame störte. In diesem Zimmer starb sie.«
    »In diesem Zimmer!« rief Sergius. »Das hast du mir nicht gesagt…
Bist du sicher, daß sie in diesem Zimmer gestorben ist?«
    Albine ereiferte sich, alle Welt wüßte, daß es so sei, wie sie
sagte. Der Herr habe das Lusthaus bauen lassen, um jene
prinzessinnenhafte Unbekannte dort zu behausen. Die
Schloßdienerschaften hätten später versichert, Tag und Nacht habe
er dort zugebracht. Oftmals auch sei er gesehen worden, wie er
durch die Alleen die kleinen Füße der Unbekannten in das dichteste
Heckendunkel geleitete. Um nichts in der Welt aber hätten sie den
Versuch gemacht, das Paar zu belauschen, das ganze Wochen lang im
Park umherstreifte.
    »Und hier ist sie gestorben,« wiederholte Sergius, der ganz
beeindruckt war. »Und du hast dir ihr Zimmer angeeignet, wohnst in
ihren Möbeln, schläfst in ihrem Bett!«
    Albine lächelte.
    »Du weißt doch, daß ich nicht furchtsam bin,« sagte sie. »Ach,
und dann ist alles das so lange her … Dir schien das Zimmer
doch voll Glück.«
    Sie verstummten und betrachteten eine Weile den Alkoven, die
hochgewölbte Decke, die schattengrauen Winkel. Wie Liebesrührung
lag es über den verblaßten Farben der Möbel. Leise seufzte die
Vergangenheit auf, so ergeben, daß es klang wie der zärtlich
schwüle Dank einer angebeteten Frau.
    »Ja,« flüsterte Sergius, »es ist zu ruhig hier, als daß man sich
fürchten könnte.«
    Albine rückte näher an ihn heran und begann
wieder:
    »Nur wenige wissen, daß sie im Garten das Versteck
vollkommenster Glückseligkeit entdeckten und ihre ganze Zeit dort
verbrachten. Ich weiß das aus sicherster Quelle. Ein schattenkühler
Winkel, in unzugänglichem Gesträuch verborgen und so wunderbar
schön, daß man dort die ganze Welt vergißt. Sicher liegt die Dame
dort begraben.«
    »Ist es im Blumengarten?« fragte Sergius neugierig.
    »Ach, ich weiß nicht, ich weiß nicht,« sagte das junge Mädchen
mit einer mutlosen Bewegung. Ȇberall habe ich gesucht und nirgends
noch die glückselige Lichtung entdecken können … Nicht
zwischen den Rosen ist sie, noch in den Lilien, noch im
Veilchenflor.«
    »Vielleicht ist es jene traurige Blumenecke, wo du mir das
Steinbild eines Kindes mit abgebrochenem Arm zeigtest?«
    »Nein, nein.«
    Albine blieb eine kleine Weile in Gedanken versunken. Dann fuhr
sie fort, als redete sie mit sich selbst:
    »Schon am ersten Tage machte ich mich auf die Suche. Wenn ich
Tage verbrachte im Paradeis, wenn ich die heimlichsten grünen
Winkel durchstöberte, so war es, um mich nur eine Stunde lang auf
der Lichtung auszuruhen. Wie viele Morgen habe ich nicht vergeudet
mit vergeblichen Streifzügen, durch Dorngerank, beim Absuchen der
entlegensten Parkecken! … Oh, gleich hätte ich ihn erkannt,
den verzauberten Unterschlupf mit seinem mächtigen Baum, dessen
Laub ihn wohl ganz überdacht, mit dem Grasteppich wie aus
Seidensammt, den grünen Buschwänden, die selbst die Vögel nicht
durchdringen können!«
    Sie warf einen Arm um Sergius' Hals, und bittend hob sie die
Stimme:
    »Sag', jetzt sind wir zu zweit, können zu
zweit auf die Suche gehen, zu zweit werden wir finden, was wir
suchen. Du bist stark und kannst mir die großen Zweige aus dem Wege
biegen, damit ich jedes Dickicht ganz zu durchsuchen vermag. Du
wirst mich tragen, wenn ich müde werde; du wirst mir helfen beim
Überspringen der Bäche, du wirst auf die Bäume steigen, wenn wir
unseren Weg

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