Die Sünde des Abbé Mouret
quellenhafte
Klarheit, ohne daß, die Kristallreine trübend, aus der
Körperlichkeit Unlauteres in ihnen aufgedampft wäre. Der Gedanke
kam ihm nicht, die samtigen Früchte ihrer Wangen anzutasten. Als
kaum Zehnjährige nahmen sie von den Lilien Abschied; es war ihnen,
als hätten sie sich in der Einsamkeit des großen Gartens getroffen,
um dort in Freundschaft und ewiger Kurzweil dahinzuleben. Und als
sie den Blumengarten wiederum durchschritten bei umdämmerter
Heimwanderung, hatte es den Anschein, als bemühten sich die Blumen
eines zurückhaltenden Benehmens, als freuten sie sich der Jugend
dieser Kinder und wollten sie nicht verderben. Die Päonienwälder,
Nelkenschalen, Vergißmeinnichtteppiche, Waldrebenhänge taten sich
vor ihnen nicht mehr auf als Liebesnischen, sie verschwammen in den
abendlichen Lüften, entschliefen in einer, wie die ihre, reinen
Kindlichkeit. Die Stiefmütterchen sahen wie Kameraden nach ihnen hin mit ihren treuherzigen kleinen
Gesichtern. Die matten Reseden schienen mitleidergriffen und
vermieden, von Albines weißen Kleidern berührt, ihr Fieber
anzufachen mit duftendem Hauch.
Kapitel 8
Am nächsten Tage rief Sergius schon beim ersten Morgengrauen
nach Albine. Diese schlief in einem der Zimmer des oberen
Stockwerkes, und der Gedanke kam ihm gar nicht, hinaufzusteigen. Er
beugte sich aus dem Fenster, sah, wie sie nach dem Erwachen ihre
Läden aufstieß. Ihre Blicke trafen sich, und da mußten sie beide
sehr lachen.
»Heute gehst du nicht aus,« sagte Albine, als sie herunterkam.
»Wir müssen uns ausruhen … Morgen werde ich dich weit, weit
fortführen an einen Ort, wo es uns ausnehmend gefallen wird.«
»Wir werden uns entsetzlich langweilen,« murmelte Sergius.
»Warum nicht gar … ich werde dir Geschichten erzählen.«
Sie verbrachten einen entzückenden Tag. Die Fenster standen weit
offen; das Paradeis hatte Zutritt ins Zimmer und freute sich mit
ihnen. Sergius ergriff endlich Besitz von diesem glücklichen
Zimmer, in dem er wähnte, geboren zu sein. Alles wollte er sehen
und erklärt haben. Die Liebesgötter aus Stuck, die in den Nischen
flogen, schienen ihm so spaßhaft, daß er auf einen Stuhl stieg und
Albines Gürtel dem Kleinsten, einem Männlein, das mit der Kehrseite
nach oben, dem Kopf nach unten Allotria trieb, um den Hals band. Albine klatschte in die
Hände und rief, er gliche einem Maikäfer am Faden. Dann, wie von
Mitleid ergriffen:
»Nein, nein, mach ihn los … so kann er nicht fliegen.«
Aber am meisten beschäftigten Sergius die gemalten
Liebesabenteuer über den Türen. Er ärgerte sich, daß ihm nicht klar
wurde, was sich da eigentlich abspielte; die Malereien waren zu
verblichen.
Mit Albines Hilfe rollte er einen Tisch herzu, den sie beide
erkletterten. Albine begann zu erklären:
»Sieh nur, die da werfen sich Blumen zu. Unter den Blumen kann
man nur noch drei nackte Beine erkennen. Ich glaube mich erinnern
zu können, daß damals, als ich kam, noch eine liegende Frau zu
erkennen war. Aber seither ist sie verschwunden.«
Sie betrachteten nacheinander alle Felder, ohne daß von den
hübschen Boudoirunanständigkeiten irgendein Unlauteres bis zu ihnen
gedrungen wäre. Die wie ein geschminktes Antlitz des achtzehnten
Jahrhunderts zerbröckelnden Malereien waren genügend vergangen, um
nichts als Knie und Ellbogen der in liebenswürdigen Unzüchten
hingesunkenen Körper sichtbar werden zu lassen. Die zu unumwundenen
Deutlichkeiten, in denen sich die den Alkoven fern durchduftende,
vergangene Liebe gefallen hatte, waren von der Luft ausgelöscht; so
war das Zimmer, gerade wie der Park, auf natürliche Art wieder
jungfräulich geworden unter ruhigem Sonnenglänzen.
»Sie spaßen, die Jüngelchen,« sagte Sergius und stieg vom Tisch
herunter. »Kannst du Heiß und Kalt spielen?«
Albine kannte alle Spiele. Nur mußte man, um Heiß und Kalt spielen zu können, mindestens zu dritt sein.
Das brachte sie zum Lachen. Aber Sergius rief, zu zweit wäre es am
allerschönsten, und sie beschlossen, immer nur zu zweit zu
sein.
»Kein Laut ist zu hören, wie traulich ist es,« begann der junge
Mann wieder und streckte sich auf dem Sofa aus. »Und die Möbel
riechen alt und angenehm. Es ist traulich wie in einem Nest; dies
ist ein Zimmer, in dem das Glück wohnt.«
Das junge Mädchen schüttelte ernst den Kopf.
»Wäre ich furchtsam gewesen,« flüsterte sie, »hätte ich mich
wohl fürchten können in der ersten Zeit … Gerade diese
Geschichte will
Weitere Kostenlose Bücher