Die Sünde des Abbé Mouret
gekommen
war. Wie eine Schulaufgabe plapperten sie sie in entzückender
Torheit her, verstanden nicht, sich auf die Lippen zu küssen und
versuchten es mit den Wangen, umtanzten einander schließlich unter
Lachausbrüchen, ahnungslos, wie eines den andern seine Freude an
ihrer gegenseitigen Neigung fühlen lassen konnte.
Kapitel 9
Am nächsten Morgen wollte Albine gleich bei Sonnenaufgang
fortgehen, sich auf den weiten Weg machen, den sie seit dem
vergangenen Abend plante. Voll Fröhlichkeit hüpfte sie umher und
erklärte, sie würden den ganzen Tag unterwegs sein.
»Wohin führst du mich denn?« fragte Sergius.
»Das wirst du ja sehen, das wirst du ja sehen!«
Er nahm sie bei den Handgelenken und sah ihr ins Gesicht.
»Vernünftig sein, nicht wahr? Ich will nicht, daß du deine
Lichtung suchst, deinen Baum, dein Todeskraut. Du weißt, es ist
verboten.«
Sie errötete leicht, widersprach aber und sagte, sie dächte gar
nicht an diese Dinge. Dann fügte sie hinzu:
»Wenn wir aber finden, ohne zu suchen, durch Zufall, würdest du
dich dort nicht ausruhen wollen… Dann hast du mich wenig gern?«
Sie brachen auf, durchschritten den Blumengarten, geradeaus,
ohne sich aufzuhalten beim Erwachen der Blumen, die nackt in Tau
badeten. Rosenhäutig war der Morgen und lächelnd wie ein schönes
gesundes Kind, das die Augen aufschlägt inmitten weißer Kissen.
»Wohin führst du mich?« wiederholte
Sergius.
Albine lachte, ohne eine Anwort zu geben. Als sie aber zum
Wasserstreifen kamen, der den Garten am Ende des Blumengartens
durchschnitt, blieb sie ganz bestürzt stehen. Der Wasserlauf war
von den letzten Regengüssen noch angeschwollen.
»Wir werden nie hinüberkommen,« murmelte sie. »Für gewöhnlich
ziehe ich meine Schuhe aus und binde meine Röcke in die Höhe. Heute
aber würde uns das Wasser bis zu den Hüften reichen.«
Sie gingen eine kleine Weile am Fluß entlang und suchten eine
Furt. Das junge Mädchen sagte, es sei verlorene Mühe, sie kenne
alle Möglichkeiten genau. Früher hatte sich eine Brücke hier
befunden, deren Einsturz große Steine in den Fluß gesät habe,
zwischen denen das Wasser in Wirbeln schäumte.
»Steig auf meinen Rücken,« sagte Sergius.
»Nein, nein, ich mag nicht. Gleitest du aus, machen wir
gemeinsam einen argen Kopfsprung… Du weißt nicht, wie unzuverlässig
die Steine da sind.«
»Steig doch auf meinen Rücken.«
Schließlich bekam sie Lust. Sie nahm einen Anlauf und sprang wie
ein Junge, so hoch, daß sie rittlings Sergius auf den Schultern
saß. Als sie ihn unter sich wanken fühlte, rief sie, er sei noch
nicht stark genug und sie wolle herunter. Noch zweimal sprang sie
so auf, dies Spiel schien sie zu entzücken.
»Bist du bald so weit?« rief der junge Mann lachend. »Halte dich
jetzt gut fest, es geht los.«
Und in drei leichten Sätzen übersprang er den Fluß, kaum, daß
seine Fußspitzen naß wurden. In der Mitte kam es Albine einmal vor, als glitte er aus. Sie
schrie auf und hielt sich mit beiden Händen an seinem Kinn fest.
Doch schon trabte er wie ein Pferd mit ihr über den feinen Sand des
anderen Ufers.
»Hü, hü,« rief sie aufatmend und begann diesem neuen Spiel Reiz
abzugewinnen.
So lief er mit ihr so lange sie wollte, stampfte mit den Füßen,
um das Hufgeklapper nachzuahmen. Sie schnalzte mit der Zunge, griff
zwei seiner Haarsträhnen, die sie wie Zügel gebrauchte, um ihn nach
links oder rechts zu lenken.
»Da, da wären wir,« sagte sie und schlug ihm leicht auf die
Wangen.
Sie sprang zur Erde, erhitzt lehnte er sich gegen einen Baum, um
wieder zu Atem zu kommen. Da zankte sie mit ihm und drohte, sie
hätte nicht die Absicht, ihn zu pflegen, wenn er wieder krank
würde.
»Laß doch, gut hat mir das getan,« erwiderte er. »Bin ich erst
ganz bei Kräften, werde ich dich ganze Vormittage lang
herumschleppen … Wohin führst du mich?«
»Hierher,« sagte sie und ließ sich mit ihm unter einem riesigen
Birnbaum nieder.
Sie waren im alten Fruchtgarten des Parkes. Die grüne,
lukendurchbrochene Mauer einer Hagedornhecke grenzte ihn ab zu
einem Garten für sich. Ein Wald von Fruchtbäumen stand hier, seit
einem Jahrhundert von der Gartenschere nicht berührt. Manche Stämme
hatten sich wuchtig aus dem Erdreich gehoben und wuchsen schief
nach bösen Wettern, die sie gebeugt hatten, andere wurden von
riesigen Knoten überbeult; tief höhlend gespalten, schienen sie nur
noch an der Scholle zu haften mit den mächtigen Rindenresten.
Weitere Kostenlose Bücher