Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
verloren haben … Welche Freude dann, wenn wir
Seite an Seite mitten auf der Lichtung ruhen können unterm
Blätterdach! Ich habe mir sagen lassen, daß man dort in einer
Minute ein ganzes Leben durchlebt … Nicht wahr, lieber
Sergius, gleich morgen fangen wir an, den ganzen Park zu
durchsuchen, Gebüsch für Gebüsch, bis sich unser Wunsch
erfüllt.«
    Sergius zuckte lächelnd die Achseln.
    »Wozu?« sagte er. »Ist es denn im Blumengarten nicht schön
genug? Wir sollten bei den Blumen bleiben, scheint mir, ohne
irgendein größeres Glück in der unbestimmten Ferne zu suchen.«
    »Dort ist die Tote begraben,« flüsterte Albine und verfiel
wieder ihrer Träumerei. »Vor Lust, dort geruht zu haben, ist sie
gestorben. Der Schattenzauber dieses Baumes ist tödlich… Gerne
wollt' ich so sterben. Wir lägen einer dem andern im Arm und
stürben; kein Mensch fände uns.«
    »Nein, sei still, du machst mich ganz betrübt,« unterbrach
Sergius sie beunruhigt. »Wir wollen in der Sonne leben, weit fort
von Todesschatten. Deine Worte ängstigen mich, als wollten sie uns
in ein nicht wieder gutzumachendes Unglück drängen. Sicher ist es
unrecht, unter einem Baum zu ruhen, dessen Schatten solche Schauer
schafft.«
    »Ja, es ist unrecht,« erklärte Albine ernst.
»Alle Leute hier im Land haben mir gesagt, es sei unrecht.«
    Eine Stille trat ein. Sergius erhob sich vom Ruhebett, auf dem
er gelegen hatte, lachte und äußerte, die Geschichten wären gar
nicht nach seinem Geschmack. Die Sonne begann schon zu sinken, als
Albine endlich einwilligte, für kurze Zeit in den Garten
hinunterzugehen. Sie führte ihn links an der Umfassungsmauer
entlang bis zu einem dornenstarrenden Schuttfeld. Hier hatte früher
das Schloß gestanden, noch war alles schwarz verbrannt von der
Feuersbrunst, die die Mauern niedergelegt hatte. Unter dem Gestrüpp
barsten feuergebackene Steine, verfaulten Überreste von Holzwerk.
Wie ein wüster Felsenflecken sah es aus, durchhöhlt, verbrannt und
mit rauhem Gras bestanden, kriechenden Gewächsen, die in alle
Spalten krochen wie Nattern. Und sie vergnügten sich damit, diesen
Hexenkessel nach allen Seiten zu durchqueren, im Schutt zu stochern
und nachzusuchen, ob sich nichts von dieser eingeäscherten
Vergangenheit enthüllen wollte. Sie gestanden sich ihre Neugier
nicht ein, liefen sich nach zwischen geborstenen Planken und
gestürztem Gemäuer; in Wirklichkeit aber dachten sie an nichts
anderes als an die Legende dieser Ruinen, an die Dame, schöner als
der Tag, die knisternde Seidenschleppen einst über die Stufen zog,
auf denen jetzt nur mehr träge Eidechsen umherkrochen.
    Sergius erklomm schließlich den höchsten Schutthaufen und sah
über den Park hin, der seine unübersehbaren grünen Matten breitete,
und versuchte zwischen den Bäumen die graue Wand des Lusthauses zu
erspähen. Albine stand still neben ihm; sie war nachdenklich
geworden.
    »Das Lusthaus ist dort zur Rechten,« sagte sie, ohne daß er sie gefragt hätte. »Es ist alles, was
übrigblieb von den Baulichkeiten … Du kannst es genau sehen am
Ende der Lindendeckung!«
    Wieder schwiegen sie. Und als führte sie mit lauter Stimme die
Gedanken weiter aus, die sie innerlich beide beschäftigt hatten,
begann sie wieder:
    »Wenn er zu ihr ging, führte sein Weg wohl durch diese Allee;
dann umschritt er die großen Kastanien und hielt sich unter den
Linden … Kaum eine Viertelstunde hatte er zu gehen.«
    Sergius tat den Mund nicht auf. Auf dem Rückweg gingen sie durch
die Allee, umschritten die großen Kastanien und bogen unter die
Linden. Ein Liebesweg war es. Es war, als suchten sie Spuren im
Gras, eine abgefallene Bandschleife, einen Hauch vergessener
Wohlgerüche, irgendein Zeichen, das klar ihnen kündete, sie fanden
sich wirklich auf dem Weg zur Lust glücklichen Zusammenseins. Es
wurde Nacht. Die großvergehende Stimme des Gartens rief nach ihnen
aus den grünen Gründen.
    »Warte,« sagte Albine, als sie wieder vor dem Lusthaus angelangt
waren. »Komm erst in einigen Minuten herauf.«
    Sie lief vergnügt voran und schloß sich ein in dem Zimmer mit
der blauen Decke. Zweimal ließ sie Sergius an die Türe klopfen,
dann erst tat sie leise die Türe halb auf und empfing ihn mit einer
tiefen Verneigung im alten Stil.
    »Guten Tag, mein teurer Gebieter,« sagte sie und küßte ihn.
    Dies belustigte sie ungemein. Sie spielten Liebesleute in aller
Kindlichkeit und versuchten eine Leidenschaftnachzustottern, die einstmals hier zu Tode

Weitere Kostenlose Bücher