Die Sünde des Abbé Mouret
Die
großen Äste, die sich unter der Last der
Früchte zu allen Jahreszeiten niederbogen, streckten sich übermäßig
weit, selbst die Fruchtbeschwertesten, die gebrochen waren,
berührten den Boden und trugen weiter ihre Früchte, umheilt an den
Bruchstellen von breiten Saftwülsten. Gegenseitig schafften sich
die Bäume natürliche Stützen, wurden zu gewundenen Pfeilern, die
Blättergewölbe trugen, sich zu langen Galerien schlossen, jäh zu
leichten Säulenhallen aufschossen, fast zum Boden herabsanken wie
zerschütterte Hängeböden. Jeder Koloß war von jungen Schößlingen
umdichtet, deren junges Gestämme sich der Wirrnis beimengte und
deren kleine Beeren angenehm säuerlich schmeckten. In der
wasserklar rieselnden grünen Helle, im moosig tiefen Schweigen war
einzig vernehmbar das dumpfe Fallen der Früchte, die der Wind
pflückte.
Edelgreise Aprikosenbäume gab es, die kernig ihr hohes Alter
trugen, zur Hälfte schon gelähmt, mit einem Wald abgestorbenen
Geästs wie ein Kathedralengerüst, so lebensvoll auf der anderen
Seite, so jung, daß zarte Triebe überall die rauhe Rinde
durchbrachen. Ehrwürdige Pflaumenbäume, altersgrau überwuchert,
wuchsen noch immer, tranken die heiße Sonne, ohne daß ein einziges
Blatt sich entfärbt hätte. Kirschbäume bildeten ganze Städte,
mehrstöckige Häuser mit Treppenzügen, Astböden, die zehn Familien
Platz boten. Dann kamen die Apfelbäume mit zermorschten Gliedern,
gewundenem Rumpf, wie Schwerkranke mit grünfleckiger überrosteter
Haut; glatte Birnbäume, die schlankhohes Gezweig zu ungeheuren
Masten aufstreckten, wie ein Hafendurchblick anmutend mit
horizontüberstreifendem braunen Gestänge; rosige Pfirsichbäume, die
sich Platz gewannen im Gewühl der Nachbarn durch lachende Liebenswürdigkeit, langsames Vordringen
schöner, in einer Menge verirrter Mädchen. Manche Stämmchen, die
früher an Spalieren gezogen wurden, hatten die niedrigeren, ihnen
Halt gebietenden Mauern eingestoßen, jetzt verwilderten sie, von
dem Gegitter befreit, dessen losgerissene Stücke hier und da noch
an ihren Ästen hingen; sie wuchsen nach eigenem Gutdünken, hatten
sich von ihrer besonderen Gestaltung nur den Anschein wohlerzogener
Bäume bewahrt, die Fetzen ihrer Galatracht noch mitschleppend als
Landstreicher. Um jeden Stamm, jeden Zweig, von einem Baum zum
anderen zog sich Wein, wie tolles Gelächter erhoben sich die
Ranken, hielten sich eine kleine Strecke an irgendeinem
Astvorsprung, um erneut auszubrechen in lautere Fröhlichkeit, und
alle Blätter zu durchspritzen mit glücklicher Rebentrunkenheit. Ein
sonnenvergoldetes sanftes Grün war es, das in den verwitterten
Häuptern der großen Greise des Obstgartens leisen Rausch
entfachte.
Weiter zur Linken standen die Bäume in größeren Abständen,
Mandelbäume mit spärlichem Laub, das der Sonne gestattete, Kürbisse
wie gefallene Monde am Boden zu reifen. Am Rand eines Baches, der
den Obstgarten durchfloß, fanden sich auch versteckt im
Blätterkriechen nahtbewarzte Melonen, Pasteken, wie lackiert, vom
vollkommenen Oval eines Straußeneies. Auf Schritt und Tritt
versperrten Johannisbeersträucher die alten Alleen, wiesen ihre
klaren, rubinenen Fruchttrauben, deren jede Beere ein Tropfen Tag
aufhellte. Wie wilde Dornen standen Himbeerhecken, während der
Boden ein einziger Erdbeerteppich war, eine Rasenmatte, mit reifen
Erdbeeren bestanden, denen ein leiser Vanillehauch entströmte.
Der bezauberndste Winkel des Obstgartens
aber lag noch mehr nach links, gegen die Felsenwand zu, die dort
zum Horizont anzusteigen begann. Man kam auf glühendem Grund in ein
sonnüberpralltes Naturtreibhaus. Zuerst mußte man an riesenhaften
Feigenbäumen vorbei, die ihre Zweige schlotternd streckten, wie
schlafmüde, graue Arme, so mit Blätterzotteln behängt, daß man, um
sich einen Weg zu bahnen, erst die jungen, den altersvertrockneten
Stämmen entwachsenden Äste knicken mußte. Dann ging man zwischen
Büschen von Baumerdbeeren, aufgrünend wie gigantischer Buchs; ihre
roten Beeren ließen sie wie mit scharlachroten Seidenbällchen
geschmückte Maiskolben erscheinen. Weiter kam ein Hochwald von
Elsbeerbäumen, Vogelbeeren, Oleandern, an dessen Rande Granatbäume
eine immergrüne Fassung bauschten; die kaum altersgewundenen Stämme
der Granaten hatten den Umfang einer Kinderfaust; die an den
Astenden erblühenden Blumen schienen begabt mit der Federleichte
südlicher Vögel, unter denen sich die Gräser nicht biegen. Und
endlich
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