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Die Sünde des Abbé Mouret

Die Sünde des Abbé Mouret

Titel: Die Sünde des Abbé Mouret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Vorbeilaufen
kostete; im Wald von Elsbeerbäumen, Oleandern und Lorbeer kam sie
Sergius außer Sicht. Zuerst glaubte er, sie sei hinter den
Granatbäumen verborgen; aber zwei knospende Blumen waren es, die er
für die rosigen Knöchel ihrer Handgelenke angesehen hatte. Da
durchsuchte er das Orangendickicht, entzückte sich an der schönen
Wärme, die dort herrschte und bildete sich ein, er käme zu den
Sonnenfeen. Inmitten des Gehölzes gewahrte er Albine, die, seine
Nähe nicht ahnend, lebhaft hin und her lief und mit dem Blick die
grünen Gründe durchspähte.
    »Was suchst du denn da?« rief er. »Du weißt doch, es ist
verboten.«
    Sie fuhr zusammen und errötete leicht, zum erstenmal an diesem
Tage. Und neben Sergius niedersinkend, sprach sie ihm von den
glücklichen Tagen der Orangenreife. Dann war das Gehölz ganz
übergoldet, ganz durchleuchtet von den runden Gestirnen, die Netze
gelber Feuer über die grüne Wölbung hingen.
    Als sie sich endlich auf den Weg machten, blieb sie bei jedem
Wildling stehen und füllte sich die Taschen mit kleinen unreifen
Birnen, bitteren Pflaumen, sagte, das sei ihre Wegzehrung und
hundertmal besser als alles bis dahin Gegessene.
    Trotz der Grimassen, die er bei jedem Bissen schnitt, mußte
Sergius davon herunterwürgen. Müde und glücklich kamen sie nach
Hause, sie hatten so viel gelacht, daß die Seiten ihnen schmerzten.
An diesem Abend fand Albine nicht den Mut, in ihr Zimmer
hinaufzugehen; sie schlief zu Füßen Sergius', legte sich quer über
das Bett. Im Traum kletterte sie auf
Bäume, schlafend brachte sie es fertig, die Früchte der Wildlinge
aufzuessen, die sie neben sich unter die Decke gesteckt hatte.

Kapitel 10
     
    Zehn Tage später kam es neuerdings zu einer großen
Entdeckungsfahrt in den Park. Es handelte sich darum, über den
Obstgarten hinauszukommen, links herüber nach den von vier Bächen
durchzogenen Wiesenmatten. Im hohen Gras sollte meilenweit
gewandert werden, verirrte man sich, müßte man vom Fischfang
leben.
    »Ich nehme mein Messer mit,« sagte Albine und wies ein
Bauernmesser mit breiter Klinge vor.
    Von allem steckte sie sich in die Taschen: Kordel, Brot,
Streichhölzer, eine kleine Flasche Wein, kleine Zeugstücke, einen
Kamm, Nadeln. Sergius mußte eine Decke nehmen, aber bereits am Ende
des Lindenganges, als sie an den Trümmern des Schlosses
vorbeikamen, war ihm die Decke so lästig geworden, daß er sie unter
Mauerresten verbarg.
    Die Sonne schien schon warm, Albine hatte sich bei ihren
Vorbereitungen verspätet. In der Morgenwärme gingen sie Seite an
Seite, fast vernünftig. Sie brachten es fertig, bis zu zwanzig
Schritte zu machen, ohne sich spaßeshalber zu stoßen. Sie
unterhielten sich.
    »Ich wache nie auf,« sagte Albine. »Diese Nacht hab' ich gut
geschlafen. Und du?«
    »Ich auch,« erwiderte Sergius.
    Sie fing wieder an:
    »Was hat das zu bedeuten, wenn man von einem Vogel träumt, der
zu einem spricht?«
    »Das weiß ich nicht. Was sagte denn der
Vogel?«
    »Ach, ich weiß nicht mehr … Er sagte sehr vernünftige
Dinge, vieles, das mir komisch vorkam … Da, siehst du die
große Mohnblume da hinten, die bekommst du nicht, du bekommst sie
nicht.«
    Sie raste davon. Sergius aber, dank seiner langen Beine,
überholte sie und pflückte die Mohnblume, schwenkte sie
triumphierend über dem Kopf. Sie kniff die Lippen zusammen, sagte
nichts und hatte große Lust zu weinen. Es blieb nichts übrig, als
die Blume fortzuwerfen. Dann, um des lieben Friedens willen:
    »Willst du nicht auf meinen Rücken steigen? Ich trage dich, wie
neulich.«
    »Nein, nein.«
    Sie schmollte. Aber noch keine dreißig Schritte hatte sie
gemacht, da drehte sie sich um, eitel Fröhlichkeit. Eine Dornranke
hielt sie am Kleide fest.
    »Ach, ich dachte, du wärest es, und du trätest mir mit Absicht
auf das Kleid … Sie will mich nicht loslassen. Mach mich los,
ja?«
    Und als sie befreit war, gingen sie wieder sehr gesittet
nebeneinander her.
    Albine gab vor, daß es viel lustiger sei, so sittsam
nebeneinander zu gehen, wie erwachsene Leute. Sie kamen ins
Wiesenland. Endlos erstreckten sich vor ihnen große Wiesenflächen,
kaum unterbrochen hier und da vom zarten Blätterfall hängender
Weiden. Die Wiesenstrecken waren samten überflaumt; sie waren
starkgrün, blaßten in der Ferne etwas ab, vergingen in lebhaftem
Gelb, an den Horizonträndern von der Sonne überbrandet. Die
Weidengruppen, ganz weit drüben, schienen wie fernes Gold inmitten der zitternden

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