Die Sünde des Abbé Mouret
herunterzuklettern.«
Und wirklich brach der Ast; aber langsam, in so langsamem
Absplittern, daß er sich nach und nach senkte, wie, um Albine sanft
zur Erde gleiten zu lassen. – Sie war nicht im geringsten
erschreckt, warf sich nach hinten, strampelte mit den halbnackten
Beinen und sagte:
»Das ist wirklich bequem, wie ein Wagen.«
Sergius war vom Baum abgesprungen, um sie in den Armen
aufzufangen. Als sie ihn ganz blaß sah, von der ausgestandenen
Aufregung, neckte sie ihn:
»Aber das kommt doch alle Tage vor, daß man vom Baum fällt, nie
tut man sich weh… Lach doch, du Dummkopf! Da, streich mir ein
bißchen Speichel auf den Hals, ich habe mich gekratzt.«
Er strich ihr mit der Fingerspitze ein wenig Speichel auf.
»So, jetzt ist es wieder gut,« rief sie und hüpfte herum. »Wir
wollen Versteck spielen, hast du Lust?«
Sie wollte sich suchen lassen und verschwand. Dann ließ sie ihr
»Kuckuck, Kuckuck« aus grünen Verstecken ertönen, die nur sie kannte, in denen Sergius sie nicht finden
konnte. Aber bei diesem Versteckspiel ging es nicht ab ohne arge
Schmauserei. Überall wurde das Frühstück fortgesetzt, wohin auch
die großen Kinder einander nachliefen. Floh Albine die Bäume
entlang, streckte sie die Hände nach einer grünen Birne aus, füllte
sich den Rock mit Aprikosen. In einigen Verstecken hatte sie einen
besonders glücklichen Fund gemacht, so daß sie sich, vom Spiel
abgelenkt, auf die Erde setzen mußte, ernsthaft beschäftigt mit
ihrer Mahlzeit. Eine Weile hörte sie Sergius nicht mehr, und nun
mußte
sie
sich auf die Suche machen. Und zu
ihrer Überraschung, fast zu ihrem Ärger, entdeckte sie ihn bei
einem Pflaumenbaum, von dem sie selbst nichts wußte und dessen
reife Pflaumen einen zarten Moschusduft verbreiteten. Sie stellte
ihn gehörig zur Rede. Wollte er denn alles alleine aufessen, daß er
kein Sterbenswörtchen hören ließ? Er stellte sich dumm, witterte
aber von weitem schon die guten Dinge. Vor allem aber war sie
aufgebracht gegen den Pflaumenbaum, diesen Heimlichtuer, von dem
man nicht das Geringste wußte, der heimlich in der Nacht
aufgeschossen sein mußte, um die Leute zu ärgern. Als sie schmollte
und nicht eine einzige Pflaume pflücken wollte, kam Sergius der
Einfall, den Baum heftig zu schütteln. Ein Regen, ein Hagel von
Pflaumen prasselte nieder. Auf Arme, Hals, mitten auf die Nase
fielen Albine die Pflaumen. Da konnte sie ihr Lachen nicht mehr
zurückhalten; sie ließ die Sturmflut über sich ergehen und rief:
»Noch mehr, noch mehr!« Höchlichst belustigt durch das Anprallen
der Geschosse, hielt sie die Hände auf, öffnete den Mund und schloß
die Augen, machte sich so klein als möglich an der Erde.
Kindheitsmorgen, Nichtsnutzigkeiten
spitzbübischer Jugend in der Freiheit des Paradeis! Albine und
Sergius verbrachten hier kindlich schulschwänzende Stunden, liefen,
schrien, prügelten sich, ohne daß ihrem unschuldigen Fleisch ein
Zittern angekommen wäre. Es war noch nichts anderes als die
Kameradschaft zweier kleiner Taugenichtse, die vielleicht auf den
Gedanken kommen, sich auf die Wangen zu küssen, wenn es auf den
Bäumen keinerlei Leckerbissen mehr gibt. Und wie fröhlich paßte
sich dieser Flecken Natur der launischen Jugend an. Ein
Blätterwirrsal mit wunderbaren Verstecken, Wege, auf denen man
unmöglich ernst sein konnte, so naschhaft tropfte Gelächter über
die Hecken. Dem Park eigneten in diesem glückhaften Fruchtgarten
jugendliches Buschgetriebe, Schattenkühle, die hungrig machte,
gütige alte Bäume, wie Großväter, die gerne verwöhnen. Selbst tief
in den Moosverstecken unter den zerborstenen Baumstämmen, die sie
zwangen, hintereinander zu kriechen, in so schmalen Laubgängen, daß
Sergius sich lachend an Albines nackten Beinen hielt, gab es kein
gefährlich träumerisches Schweigen.
Keinerlei Beunruhigung kam ihnen aus dem Ferienwald.
Und als sie die Aprikosen-, Pflaumen-, Kirschbäume satt hatten,
liefen sie zu den hageren Mandelbäumen, aßen erbsengroße grüne
Mandeln und suchten Pfirsiche auf dem Rasenteppich, waren geärgert,
daß Melonen und Pasteken noch nicht reifen wollten. Albine begann
schließlich, so schnell sie konnte, zu laufen, Sergius hinterdrein,
aber ohne sie fangen zu können. Sie bog aus unter die Feigenbäume,
sprang über die großen Äste und riß Blätter ab, die sie hinter
sich, ihrem Gefährten ins Gesicht warf. In wenigen Sprüngen durchquerte sie die
Baumerdbeerstände, von deren roten Beeren sie im
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