Die Sünde des Abbé Mouret
Lichter. Tanzender Staub
überrieselte Gräserspitzen, und wenn manchmal der Wind frei das
flache Feld überstreifte, glänzten die Gräser seidig auf im Erbeben
liebkoster Pflanzen. Und an den nächstgelegenen Wiesen entlang
belebten Unmengen kleiner weißer Gänseblumen, einzeln verstreut,
eng zusammenstehend und in Gruppen, wie eine festlich erregte Menge
auf der Straße wimmelt, mit ihrer überall ausgestreuten
Fröhlichkeit die dunklen Rasen. Butterblumen nahmen sich
vergnüglich aus, wie polierte Messingglöckchen, die von der
Berührung eines Käferflügels zum Läuten hätten gebracht werden
können; große, einzeln stehende Mohnblumen flirrten grell auf,
zogen sich weiterhin in Zügen und breiteten ihre heiteren Seen, wie
vom Wein noch überpurpurte Kelterböden; große Kornblumen
schaukelten ihre leicht gerüschtblauen Bäuerinnenhauben, die bei
jedem Lufthauch auf und davon zu fliegen drohten. Dann kamen
Teppichbeete wolliger Minze, wohlriechenden Klees, zottigen
Schottenklees, Hahnenfuß, Wiesenschaumkraut, Salbei und Männertreu.
Das Zittergras stand magerspitz, der Klee zeigte seine
scharfgezeichneten Blätter, Wegerich schüttelte Lanzen, die
Luzernen bildeten weiche Pfühle, Daunenkissen aus wassergrünem,
blumig blaßviolett durchwirktem Atlas. Zur Rechten, zur Linken,
geradeaus, überall ringsum wogte es übers flache Land, weitete sich
die überschäumte Oberfläche zu reglosem Meer, das unter dem
geweiteten Himmel schlief. In der Wiesenunendlichkeit schimmerten
die Gräser stellenweise in durchsichtiger Bläue, als hätten sie dem
Blau des Himmels nachgedacht. Albine und Sergius wanderten mitten
über die Wiesen, bis zu den Knien hob sich ihnen das Grün. Es war ihnen zumut, als durchschritten sie
kühles Wasser, das ihnen die Füße umspielte. Wirkliche Strömungen
durchquerten sie für Augenblicke, ein Geriesel sich neigender hoher
Stengel, dessen schnelles Strömen sie im Schreiten spürten. Ruhige
Teiche schlummerten, Seebecken kurzen Rasens, der ihnen kaum die
Fußknöchel netzte. Wie sie so dahingingen, spielten sie nicht mehr
sorglos wild wie im Obstgarten, sondern ließen sich gerne
zurückhalten, fußumfingert von windender Pflanzengeschmeidigkeit,
kosteten sie liebkosende Bachesreinheit, die die Roheiten des
Kindesalters in ihnen stillte. Albine bog ab und hüllte sich in
hohe grüne Stauden, die ihr bis zum Kinn reichten. Nur ihr Kopf kam
zum Vorschein. Eine Zeitlang verhielt sie sich ganz ruhig, rief
Sergius zu:
»Komm doch, wie in einem Bad ist man, grünes Wasser
überall.«
Dann entschlüpfte sie mit einem Sprung, ohne zu warten, ob er
käme, und sie gingen entlang am ersten Flußlauf, der ihnen den Weg
versperrte. Ein flaches, wenig tiefes Wasser war es, das zwischen
kressebestandenen Ufern dahinfloß. Weich zog es in sanften
Windungen dahin, so säuberlich und klar, daß sich das kleinste
Schilfrohr seines Ufers widerspiegelte. Albine und Sergius mußten
längere Zeit seinen Lauf verfolgen, der weniger beeilt als sie
schien, ehe sie einen Baum fanden, dessen Schatten in dieser trägen
Flut badete. So weit ihr Blick reichte, sahen sie das unbedeckte
Wasser klargliederig das grüne Bett überrekeln, in der grellen
Sonne ruhen, im biegsam gelösten natterblauen Schlummer. Endlich
trafen sie auf drei eng zusammenstehende Weiden; zwei standen im
Wasser, die dritte wuchs etwas weiter nach rückwärts, bekrönt mit blondem Kinderhaar. So hell malte sich
der Schatten, daß er das besonnte Ufer kaum mit leisen
Schraffierungen streifte. Doch das stromauf und -ab so glatte
Wasser war hier lichtdurchschauert, in leiser Erregung kräuselte
sich die durchsichtige Oberfläche, bezeigte sein Erstaunen, des
überschleppenden Schleierendes wegen. Zwischen die drei Weiden
senkte sich in unmerklicher Neigung ein Wiesenstreif, der Mohn bis
in die Strömung drängte. Wie ein grünes Zelt über drei Pfählen war
es anzusehen in der wogenden Graswüste.
»Hier ist's! Hier!« rief Albine und glitt unter die Weiden.
Sergius setzte sich neben sie; fast netzte das Wasser ihm die
Füße. Er sah um sich und sagte leise:
»Du kennst dich aus, überall weißt du die besten
Rastplätze … Eine Insel, zwei Fuß im Geviert, mitten im Meer,
könnte man meinen.«
»Ja, wir sind zu Hause,« begann sie wieder und trommelte vor
Vergnügen mit den Fäusten auf den Boden. »Dies Haus gehört uns, wir
können tun, was wir wollen.«
Dann kam ihr ein neuer Einfall, triumphierend warf sie sich
gegen ihn, sagte ihm
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