Die Sünde des Abbé Mouret
Hitzen
mehr und mehr zum Vorschein kamen.
Die liegende Frau bot sich zurückgebogen der Umarmung eines
bocksfüßigen Fauns. Deutlich waren zu erkennen die Bewegung der
Arme, der sich hingebend windende Rumpf, die ganze gelöste Gestalt
dieser nackt kräftigen Buhlerin, überrascht auf Blumengarben, die
kleine Liebesgötter mit Sicheln in den Händen mähten. Liebesgötter,
die unaufhörlich neue Rosensträuße über das Lager streuten. Man
nahm auch die Anstrengung des Fauns wahr, das Keuchen seiner sich
wild anpressenden Brust. Auf der anderen Seite des Bildes waren nur
noch die beiden Füße der Frau erkenntlich, die wie rosige Tauben in
der Luft flatterten.
»Nein,« wiederholte Albine, »ähnlich sieht sie mir nicht …
sie ist garstig.« Sergius sagte nichts. Er betrachtete die Frau,
betrachtete Albine und gab sich den Anschein, als vergliche er.
Albine streifte einen ihrer Ärmel bis zur Schulter auf, um zu
zeigen, daß ihre Haut weißer sei. Und wieder schwiegen sie,
widmeten sich dem Bild, mit Fragen auf den Lippen, die sie sich
zu stellen scheuten. Einen Augenblick
trafen sich ihre Augen, Albines blaue und Sergius' graue, glühend
durchflammte.
»Hast du denn das ganze Zimmer neu gemalt?« rief sie und sprang
herab vom Tisch. »Es ist gerade, als erwachte alles aus dem
Schlaf.«
Sie mußten beide lachen, aber ein erregtes Lachen war es, bei
dem verstohlene Seitenblicke die spitzbübischen Putten und die
Nacktheit der fast vollständig enthüllten Körper streiften. Aus
Trotz wollten sie alles wieder ansehen, jedes Wandfeld wurde
verwundert betrachtet, und unter lauten Ausrufen zeigten sie sich
menschliche Gliedmaßen, die sicherlich im vergangenen Monat noch
nicht zu erkennen waren. Bewegliche, in nervigen Armen sich
wiegende Rücken, Beine enthüllten sich bis zu den Hüften, Frauen
tauchten auf, bedrängt von Männern, deren greifende Hände vor
kurzem noch nur Leere umfaßten. Sogar die stuckgeformten Putten des
Alkovens schienen sich größere Freiheiten zu gestatten. Albine
wagte nichts mehr von spielenden Kindern zu sagen, Sergius ließ
keine lauten Vermutungen mehr hören.
Ernsthaft wurden sie, verweilten lange vor den Darstellungen,
und es wäre ihnen lieb gewesen, wenn die Malereien mit einem
Schlage in alter Frische erstanden wären; diese letzten Nebel vor
den Deutlichkeiten der Bilder waren noch erregender. Und diese
Gespenster der Wollust vollendeten ihre Erziehung zur Liebe.
Aber Albine begann sich zu fürchten; sie floh aus Sergius Nähe,
dessen Atem ihr heiß über den Nacken strich, und setzte sich auf
das äußerste Ende des Sofas; leise sagte sie:
»Ich beginne mich vor ihnen zu ängstigen.
Die Männer sehen wie Räuber aus, und die Frauen haben Augen wie
Schlachtopfer.«
Sergius ließ sich in einiger Entfernung von ihr in einem Sessel
nieder und redete von anderen Dingen. Sie fühlten sich beide sehr
matt, wie nach langem Lauf, und ein Unbehagen überschlich sie, so,
als würden sie von den Bildern beobachtet. Der Puttentrubel reigte
über Wand und Deckenzierrat in Wirbeln verliebter Gliederchen, wie
ausgelassene Bubenschar, die ihnen Blumen zuwarf und sie einander
zu fesseln schien mit dem gleichen blauen Bandgeschlinge, das ein
Liebespaar oben an der Decke dicht verstrickte. Die Paare belebten
sich und erzählten die Geschichte des großen vom Faun begehrten
Mädchens, ließen sie erraten vom erstmaligen Lauern des Fauns
hinter Rosenhecken bis zu der Hingabe des großen Mädchens inmitten
entblätternder Rosen.
Würden sie wohl von den Wänden steigen? Durchseufzten sie nicht
schon das vom Wehen wollüstiger Vergangenheit durchschauerte
Gemach?
»Man kann hier nicht atmen, findest du nicht auch?« sagte
Albine. »Alles Lüften ist vergeblich; immer bleibt diesem Zimmer
der seltsame Vergangenheitsgeruch.«
»Neulich Nacht,« erzählte Sergius, »erwachte ich von so
durchdringendem Duft, daß ich deinen Namen rief, weil ich annahm,
du seiest eingetreten. Lau duftete es wie dein Haar, wenn du es mit
Heliotropdolden durchstichst … In den ersten Nächten kam es
von weither gezogen, wie duftende Erinnerung. Doch jetzt kann ich
kein Auge mehr zutun, so hat sich der Duft verstärkt; ich ersticke
fast. Zumal des Abends ist der Alkoven so duftdurchwärmt,
daß ich mich zu guter Letzt gezwungen
sehen werde, auf dem Sofa zu schlafen.«
Albine legte einen Finger auf die Lippen und flüsterte:
»Die Verstorbene ist es, du weißt, jene Frau, die früher hier
gelebt hat.«
Sie
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