Die Sünde des Abbé Mouret
dem Maße, wie sich
ihre Spannung löste, fühlte er sie erstarken und siegessicherer
werden. Bald würde sie nur mit dem kleinen Finger zu winken
brauchen, und er würde ihr folgen zu jenem grünen Lager, von dessen
Zauber ihr Schweigen so beredt erzählte.
An diesem Tag sprach sie noch nicht, sie begnügte sich damit,
ihn auf ein Kissen zu ihren Füßen niederzuziehen. Erst am folgenden
Tag sagte sie wie von ungefähr:
»Warum schließt du dich hier ein? Unter den Bäumen ist es so angenehm!« In flehender Bitte streckte er
die Arme aus. Sie aber lachte.
»Nein, nein, wenn du nicht ausgehen willst, bleiben wir eben
da … Dieses Zimmer hat einen so seltsamen Duft! Im Garten wäre
uns wohler, freier, gesicherter wären wir. Du tust unrecht, wenn du
dem Garten zürnst.«
Er lag ihr wieder zu Füßen, stumm, mit gesenktem Blick. Es
zuckte in seinem Gesicht.
»Wir gehen nicht, fing sie wieder an, sei nicht bös. Aber ist
dir denn das Grün des Gartens nicht lieber als diese Bilder?
Erinnerst du dich noch an alles, was wir zusammen sahen? Diese
Bilder stimmen uns traurig. Sie stören uns, sehen uns immer
zu.«
Und als er sich fester und fester an sie schmiegte, wand sie
einen Arm um seinen Hals, bog seinen Kopf rückwärts auf ihre Knie;
sie dämpfte die Stimme und flüsterte:
»Oh, ich weiß, wo es uns wohl wäre. Nichts störte uns dort. In
der frischen Luft verginge dein Fieber.«
Sie fühlte, daß er zusammenschauerte und schwieg. Sie fürchtete,
ein zu lebhaftes Wort könnte neue Ängste in ihm wecken. Ganz
langsam müßte sie ihn besiegen, einzig durch die sanfte Bläue des
sein Antlitz überkosenden Blickes. Er hatte die Augen aufgeschlagen
und schien beruhigt sich ihr auszuliefern.
»Ach, wenn du wüßtest!« hauchte sie ihm leise ins Ohr.
Als sie sah, daß sein Lächeln nicht verging, wurde sie
mutiger.
»Es ist nicht wahr, daß es verboten ist,« flüsterte sie, »du
bist ein Mann und darfst dich vor nichts fürchten; wenn wir dort
hingehen, und wenn mir Gefahr droht, du würdest mich doch
verteidigen, nicht wahr? Du würdest mich aufnehmen und forttragen? Wenn ich bei dir bin, bin ich ganz
ruhig … Sieh doch, was du für starke Arme hast; wie kann man
sich denn fürchten, wenn man stark ist wie du!«
Lange strich sie ihm mit einer Hand über das Haar, über Nacken
und Schultern.
»Nein, es ist nicht verboten,« begann sie wieder. »Wer das
glaubt, ist dumm. Wenn Leute das früher verbreitet haben, wußten
sie wohl, warum sie im holdesten Winkel des Gartens nicht gestört
sein wollten … Sage dir das eine: vom Augenblick an, wo du auf
jenem Rasenteppich ruhst, wirst du vollkommen glücklich sein. Erst
dann erkennen wir alles, beherrschen wir alles … Folge mir,
komm, laß uns gehen.«
Er schüttelte den Kopf, aber ohne böse zu werden, und so, als
mache ihm dieser Unsinn Freude. Dann, nach einem Schweigen, betrübt
über ihr Schmollen und begierig, weiter von ihr liebkost zu werden,
tat er endlich die Lippen auf und fragte:
»Wo ist es?«
Zuerst wollte sie keine Antwort geben. Ihr Blick schien in der
Ferne zu suchen. »Da drüben ist's,« murmelte sie. »Beschreiben kann
ich's nicht. Man muß die große Allee durchschreiten, sich dann nach
links wenden und dann nochmals nach links. Wohl zwanzigmal sind wir
dicht vorübergegangen … Du würdest lange vergeblich suchen,
wenn ich dir die Hand nicht reichen und dich führen wollte.
Ich finde gleich hin, wenngleich es mir nicht möglich ist, den
Weg zu beschreiben.«
»Und wie hast du hingefunden?«
»Ich weiß nicht … An jenem Morgen war es, als schoben die Pflanzen mich alle nach jener Richtung.
Die langen Zweige schlugen hinter mir zusammen, die Rasen senkten
sich sanft, die Wege boten sich mir von selbst. Und mir scheint,
auch die Tiere nahmen Anteil, denn ich erblickte einen Hirsch, der
vor mir hersprang, so, als wollte er mich auffordern, ihm zu
folgen, auch stob eine Finkenschar von Baum zu Baum, um mich durch
leises Gezwitscher zu warnen, wenn ich irreging.«
»Ist es sehr schön dort?«
Wieder gab sie keine Antwort … »So tief bezaubert war ich,
daß mir nichts anderes bewußt wurde als unnennbare Freude, die aus
den Zweigen sank, im Gras ruhte. Und so lief ich zurück, um dich zu
holen, um nicht ohne dich das Glück zu genießen, in diesen Schatten
auszuruhen.«
Sie umschlang seinen Hals mit ihren Armen und sprach ganz aus
der Nähe auf ihn ein, fast Mund an Mund.
»Komm, folge mir,« stammelte sie. »Bedenke, daß
Weitere Kostenlose Bücher