Die Sünde des Abbé Mouret
denen sie die Felsen erklommen, sich an den
Heuschreckenschwärmen ergötzten, die ihr Schritt aus den
Thymiansteppen aufscheuchte, mit dem Geknister angefachter
Kohlenglut; die am Rand rötlich versengter Gebüsche entrollten
Schlangen, die auf weiß glühenden Steinen sich sonnenden Eidechsen,
schickten ihnen freundliche Blicke nach; rosige Flamingos, die im
Quellgewässer standen, flogen nicht auf bei ihrem Näherkommen und
beruhigten durch würdigernste Vertraulichkeit die in Teichesmitten
brütenden Wasserhühner.
All dies Leben und Weben im Garten fühlten Albine und Sergius
erst vom Tag an, an dem sie selbst in einem Kuß zum Leben erwacht
waren. Jetzt betäubte es sie manchmal, sprach zu ihnen in
unverständlichen Worten, stellte Forderungen, die sie nicht zu
erfüllen verstanden. Dieses Leben, all diese Stimmen und Tierwärme,
all diese Düfte und Pflanzenschatten waren
es, die sie beunruhigten, so heftig beunruhigten, daß sie sich
erzürnten, einer über den anderen. Und doch fanden sie im Park nur
die liebevollste Aufnahme. Jeder Grashalm, jedes Geschöpf war ihnen
Freund. Das Paradeis war ihnen wie eine einzige lange Liebkosung.
Vor ihrem Kommen, während mehr als hundert Jahren, hatte die Sonne
dort allein und unumschränkt gewaltet, ihre Strahlen über jeden Ast
ergossen. So kannte der Garten nur die Sonne, alle Morgen sah er
sie über die Mauer gleiten in schrägen Strahlen, mittags sich von
oben über die Erde breiten, abends auf der anderen Seite
entschwinden in abschiedskosendem Blätterstreifen. Daher hatte der
Garten seine Scheu verloren; er nahm Sergius und Albine mit
Selbstverständlichkeit auf, wie er so lange Zeit die Sonne
aufgenommen hatte, nahm sie auf wie gute Kinder, deretwegen man
sich keinen Zwang aufzuerlegen braucht, Tiere, Bäume, Wasser und
Gestein behielten ihre bezaubernde Überschwenglichkeit, senkten die
Stimme nicht, lebten unverhüllt, ohne ihr Tun zu verbergen, boten
sich dar in kecker Unschuld, in schöner Zärtlichkeit erster
Schöpfungstage. Dieser Weltwinkel belächelte insgeheim die Ängste
Albines und Sergius', noch sanftmütiger entrollte er unter ihren
Füßen seine weichsten Rasenpolster, schob sein Gebüsch zusammen, um
ihre Wege zu verschmalen. Hatte er sie noch nicht einer dem anderen
in die Arme geworfen, war es, weil ihm gefiel, ihr Begehren auf der
Wanderfahrt zu betrachten, sich an ihren ungeschickten Liebkosungen
zu erfreuen, die im Schatten aufflatterten wie erregtes
Vogelgefieder. Sergius und Albine aber litten unter dem Anhauch der
sie umschmeichelnden Wollust und waren dem Garten gram. An jenem Nachmittag, als Albine so große
Betrübnis überkam, anläßlich ihres Ausflugs in das Felsengebiet,
rief sie über den Garten, der so glühend und lebensvoll sie umgab,
hin:
»Warum betrübst du uns, wenn du uns wohlwillst?«
Kapitel 14
Am nächsten Tage verschloß Sergius sein Zimmer der Außenwelt.
Der Duft aus dem Blumengarten brachte ihn zur Verzweiflung. Er zog
die Vorhänge zu, um den Park nicht mehr sehen zu müssen, und sein
Eindringen zu hindern. Vielleicht konnte er so den Frieden der
Kindheit wiederfinden, fern von allem Grün, dessen Schatten er wie
eine Berührung auf der Haut empfand. In den langen Stunden ihres
Beisammenseins sprachen Albine und er niemals mehr von den Felsen,
Wassern, Bäumen und vom Himmel. Das Paradeis war nicht mehr
vorhanden, sie suchten es zu vergessen.
Doch allem zum Trotz spürten sie durch die Dünne der Vorhänge
seine mächtige Weite; Laubgeruch stäubte durch Ritzen im Holzwerk;
klingende Rufe ließen die Scheiben erzittern; das freie Leben da
draußen lachte, flüsterte, lauerte unter den Fenstern. Erbleichend
sprachen sie lauter und suchten nach Zerstreuungen, die diese
Stimmen zu übertönen vermöchten.
»Hast du nicht bemerkt,« sagte eines Morgens Sergius in
unruhvoller Stunde, »daß die gemalte Frau dort über der Türe dir
gleicht?« Er lachte lärmend, und sie wandten sich wieder den
Malereien zu, schoben den Tisch an der
Wand entlang, im heißen Bemühen sich zu beschäftigen.
»Nicht doch,« meinte Albine, »sie ist doch viel dicker als ich.
Außerdem kann man das wirklich kaum herausfinden; sie liegt so
komisch da, mit dem Kopf nach unten!«
Sie schwiegen. In verblaßter, von der Zeit zerstörter Malerei
zeigte sich ein Bild, das sie bisher noch nicht beachtet hatten.
Eine Auferstehung zarten Fleisches aus dem Grau der Wand war es,
wiederbelebtes Gebilde, dessen Einzelheiten in sommerlichen
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