Die Sünde des Abbé Mouret
vertraulicher Stunde konnte sie
sich nicht bemeistern und entschlief mit offenen Augen.
Sergius stellte ihr keine Fragen mehr, weil ihm klar wurde, daß sie keine Antwort geben wollte. Trat sie
jetzt bei ihm ein, sah er sie voller Besorgnis an, fürchtete, daß
sie sich eines Abends nicht mehr würde bis zu ihm hinschleppen
können. Was denn ermüdete sie so? Welch allstündlicher Kampf
beglückte sie, stürzte sie in Verzweiflung? Eines Morgens ließ ihn
ein leichter Schritt, den er unter seinem Fenster vernahm,
erzittern. Ein Reh konnte das doch nicht sein? Zu genau kannte er
diesen tanzenden Schritt, der das Gras nicht versehrte. Albine
durchstreifte ohne ihn das Paradeis. Aus dem Paradeis also brachte
sie Enttäuschung und Hoffnung mit, das Auf und Ab der Gefühle, die
sie verzehrende Ermattung. Es war ihm klar, was sie suchte. Allein,
in Blättertiefen, im schweigend stummen Eigensinn einer Frau, die
sich geschworen hat, zu finden. Von nun an belauschte er ihren
Schritt; er wagte es nicht, den Vorhang zu heben und ihren Weg
durch die Gebüsche zu verfolgen. Aber es verschaffte ihm eine
eigenartige, fast schmerzliche Erregung, festzustellen, ob sie sich
nach rechts oder links wendete, ob sie in den Blumengarten
hinabstiege und wie weit sie ihre Gänge ausdehnte. Inmitten der
Geräusche des Gartens, im Rauschen der Bäume, im Rieseln der
Wasser, dem unaufhörlichen Singen der Vögel unterschied er das
leise Geräusch ihrer Schritte so deutlich, daß er heraushörte, ob
sie auf dem Kies der Bäche, der nadelbestreuten Walderde oder auf
nacktem Felsgestein dahinschritt. Es gelang ihm sogar herauszuhören
bei ihrer Rückkehr, ob sie freudig oder traurig gestimmt sei. Wenn
er sie die Treppe heraufkommen hörte, ging er vom Fenster fort, und
er gestand ihr mit keiner Silbe, daß er sie in Gedanken überallhin
begleitet hatte. Sie aber ahnte wohl sein Mitwissen,
denn von nun an gab sie ihm durch einen
Blick Rechenschaft von ihrem Bemühen.
»Bleib, geh nicht mehr aus,« bat er sie eines Morgens mit
gefalteten Händen, als er sah, daß sie vom vorigen Tag noch ermüdet
war. »Du machst mir großen Kummer.« Argerlich lief sie fort. Der
ganz von Albinens Schritten durchklungene Garten verschärfte seine
Qual. Das leise Geräusch ihrer Absätze war eine rufende Stimme
mehr, eine gebieterisch rufende Stimme, die lauter und lauter in
ihm hallte. Er hielt sich die Ohren zu, wollte nichts hören, doch
tönte der ferne Schritt wieder, im Klopfen seines Herzens. Kam sie
dann am Abend zurück, brachte sie den ganzen Garten mit,
Erinnerungen an ihre gemeinsamen Wege, das langsame Erwachen ihrer
Zärtlichkeit inmitten der kupplerischen Natur. Sie schien
gewachsen, ernster, wie gereift durch ihre einsamen Wanderungen.
Nichts mehr war an ihr von spielerischer Kindlichkeit; sah er sie
an, mußte er die Zähne zusammenbeißen, so begehrenswert stand sie
vor ihm.
Eines Tages gegen Mittag hörte Sergius Albine in vollem Lauf
zurückkommen. Er hatte sich geschworen, nicht mehr zu lauschen, als
sie fortging. Für gewöhnlich kam sie erst spät zurück. Ihr wilder
Lauf erstaunte ihn, der sich geradeaus, achtlos der Wege, Bahn zu
brechen schien. Unter den Fenstern hörte er sie lachen. Als sie die
Treppe erstieg, konnte er ihr lautes Atmen deutlich vernehmen, so
daß es ihm war, als spüre er ihren heißen Atem im Gesicht. Sie riß
die Türe weit auf und rief:
»Gefunden!«
Sie warf sich auf einen Stuhl und wiederholte leise mit
erstickter Stimme:
»Gefunden! Gefunden!«
Aber Sergius legte ihr die Hand auf den Mund, stotterte außer
sich:
»Sag' mir nichts, ich bitte dich, schweig', ich bitte dich. Ich
will nichts wissen. Ich müßte sterben, wenn du auch nur ein Wort
sagtest.«
Da schwieg sie mit heißen Augen, preßte die Lippen aufeinander,
damit die Worte nicht gegen ihren Willen heraussprängen, und blieb
bis zum Abend im Zimmer, suchte Sergius' Blick, vertraute ihm etwas
von ihrem Erlebnis an, wenn sie ihn festzuhalten vermochte. Ein
Leuchten lag über ihrem Gesicht. Sie duftete so gut, war so
lebendurchströmt, daß er sie einatmete, daß er sie in sich aufnahm
durch Augen und Ohren. Mit allen Sinnen trank er sie. Und wie ein
Verzweifelnder wehrte er sich gegen diese langsame Unterjochung
seines Wesens.
Am nächsten Tag, als sie heruntergekommen war, hielt sie sich
ebenso in seinem Zimmer.
»Du gehst nicht aus?« fragte er; er fühlte, daß er erliegen
müsse, wenn sie bliebe.
Sie ginge nicht mehr aus, antwortete sie. In
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