Die Sünde
leid. Er sprach nie viel darüber. Ich hatte den Eindruck, dass er sehr darauf bedacht war, seine Vergangenheit abzustreifen. Er reagierte ungehalten, wenn ich gelegentlich mehr von ihm wissen wollte.«
»Wie haben Sie sein Verschwinden bemerkt?«
»Ich bin an diesem Tag als Erster zur Arbeit gefahren. Gottwald lag noch im Bett, als ich die Wohnung verließ. Das war meistens so und ganz normal. Er musste ja erst viel später im Büro sein. Dafür kam er auch abends später nach Hause. Manchmal erst gegen 20 Uhr. Doch wenn es später wurde, rief er meistens an. Da ich an dem Abend wissen wollte, wann ich mit dem Kochen beginnen kann, versuchte ich, ihn das erste Mal so gegen 18 : 30 Uhr anzurufen. Weitere Versuche unternahm ich in etwa zehnminütigem Abstand. Als ich ihn partout nicht erreichte, machte ich mir natürlich Sorgen. Ich begann, bei Bekannten und in den Krankenhäusern anzurufen. Aber von Gottwald gab es keine Spur. Spät in der Nacht rief ich schließlich die Polizei an. Der Beamte vertröstete mich und gab mir den Rat, am nächsten Morgen bei der Kriminalpolizei offiziell Vermisstenanzeige zu erstatten. Das tat ich dann auch.«
»Und Sie haben wirklich keine Ahnung, was mit Ihrem Lebenspartner geschehen sein könnte?«, hakte Nawrod noch einmal nach. »Gab es vorher vielleicht ominöse Anrufe? Verhielt sich Herr Radecke seltsam? Hat er irgendwelche Feinde?«
»Nein, nichts dergleichen. Von seinen Kollegen weiß ich nur, dass er sich zur Mittagspause verabschiedet hat und danach nicht mehr erschienen ist. Das ist aber nicht ungewöhnlich. Er arbeitet größtenteils selbstständig und ist niemandem Rechenschaft schuldig. In dieser Branche zählt der Abschluss von neuen Verträgen. Alles andere ist unwichtig.«
»Hat Herr Radecke Verwandtschaft? Leben seine Eltern noch?«
»Seine Eltern leben in einem Altenheim in der Nähe von Bremen. Dort gibt es auch noch Verwandtschaft, zu der er aber keinen Kontakt mehr hat. Er ließ einmal durchblicken, dass man ihn aus dem Clan ausgestoßen habe, nachdem bekannt geworden war, dass er schwul ist. Ich glaube, darüber war er nicht einmal böse.«
»Was ist Herr Radecke für ein Mensch?«, schaltete sich Yalcin ein.
»Wie meinen Sie das?«
»Na ja, ist er groß, stark, wehrhaft oder eher schwächlich? Ist er dick, dünn, impulsiv, cholerisch, sympathisch und so weiter?«
»Gottwald ist groß und stark. Er hat einen deutlichen Bauchansatz und wiegt bestimmt an die 100 Kilo, wenn nicht noch mehr. Ich bin sicher, bei Gefahr wehrt er sich, falls er eine Chance dazu hat. Insgesamt ist er eine sehr imposante Erscheinung. Gegenüber seinen Mitmenschen verhält er sich immer freundlich und hilfsbereit. Das bringt sein Beruf mit sich. Allerdings kann er auch schon mal auf den Tisch hauen, wenn ihm etwas nicht passt.«
»Gibt es ein aktuelles Bild von ihm?«, setzte Yalcin nach.
Weiß stand auf und ging zum Sideboard. Er öffnete eine Schublade und holte ein kleines Album heraus. Nach kurzem Blättern hielt er inne und löste ein Bild aus den Fotoecken. »Das dürfte das Neueste von ihm sein«, sagte er und übergab das Bild Yalcin.
»Haben Sie gemeinsame Konten?«, wollte Nawrod wissen.
»Ja, wir haben zusammen ein Girokonto, auf das jeder am Monatsanfang 1.000 Euro überweist. Es ist quasi unser Haushaltskonto. Von diesem Konto hat der Mörder mit Gottwalds EC -Karte das Geld abgehoben. Gottwald ist aber sonst sehr großzügig. Da er weitaus mehr als ich verdient, kommt er oft für Theaterbesuche und dergleichen auf. Er bezahlt auch die Unterhaltskosten für die Wohnung.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn wir dieses Konto sowie alle anderen überprüfen?«
»Nein, natürlich nicht. Wenn es dazu dient, Gottwald zu finden, werde ich der Letzte sein, der etwas dagegen hat.«
»Wissen Sie, ob Herr Radecke außer dieser EC -Karte noch andere Geld- oder EC -Karten mit sich führte?«
»Ja, ganz bestimmt. Er hatte noch zwei Kreditkarten. Eine davon benutzte er hauptsächlich bei Auslandsaufenthalten und die andere bei Einkäufen in Deutschland.«
»Haben Sie für die jeweiligen Konten Vollmacht?«
»Eigentlich nicht. Aber Gottwald hatte diesbezüglich keine Geheimnisse vor mir. Ich kenne die Passwörter und PIN s und kann alle Konten per Homebanking jederzeit überprüfen. Seit seinem Verschwinden habe ich fast stündlich nachgeschaut. Bis jetzt gab es nur diese eine Abhebung.«
»Dürfen wir uns in der Wohnung ein wenig umsehen?«, fragte Nawrod
Weitere Kostenlose Bücher