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Die Sünde

Die Sünde

Titel: Die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Feller
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ihm hing? »Hey, Jürgen, was soll das? Bleib locker! Du bist doch kein Halbstarker mehr. Reiß dich zusammen!«, sagte er laut zu sich selbst.
    Sicher hätte Nesrin einen kürzeren Weg genommen. Aber Nawrod war froh, dass er überhaupt dorthin fand. Auf dem Gelände der Uniklinik angekommen, wollte er gerade in eine Parklücke einbiegen, als er den silbergrauen Golf wegfahren sah. HD  – LD 54. Kein Zweifel, er war es. Nawrod folgte dem Fahrzeug durch die gesamte Innenstadt. Nachdem ihm Yalcin gesagt hatte, dass die Zähringer Straße nur einen Katzensprung vom Polizeipräsidium entfernt sei, wurde Nawrod schnell klar, dass Doktor Lukas Dreyer nicht nach Hause fuhr. Da die Gefahr bestand, ihn zu verlieren, überlegte Nawrod fieberhaft, ob er ihn rammen, aus dem Fahrzeug zerren und in den Polizeigriff nehmen sollte. Falls er tatsächlich einer der Mörder wäre, könnte er ihn mit einem Armhebel rasch so weit bringen, dass er Radeckes Versteck preisgäbe, bevor Passanten hinzukämen, um Dreyer Hilfe zu leisten. Doch schließlich entschied er sich, ihn weiter zu verfolgen.
    Als eine Ampel vor ihnen von Grün auf Gelb schaltete, war Nawrod noch gut 40   Meter entfernt. Dreyer konnte die Kreuzung noch gefahrlos überqueren. Nawrod wusste, dass es unmöglich war, innerhalb der Gelbphase die Kreuzung zu erreichen. Schon oft hatte er solche Situationen erlebt. In seiner Zeit beim Rauschgiftdezernat Stuttgart gehörte das fast zur Tagesordnung. Nie war es ein Problem, da Verfolgungsfahrten immer mit mindestens vier bis sechs schnellen Dienstwagen durchgeführt wurden. Dabei setzten sich ein oder zwei Fahrzeuge vor den Verfolgten und die restlichen dahinter. Man war ständig in Funkkontakt und wechselte so oft es ging die Positionen, damit der Dealer oder Kurier keinen Verdacht schöpfen konnte. Jetzt war Nawrod aber ganz auf sich gestellt. Wenn er bei Rot über die vielbefahrene Kreuzung fuhr, riskierte er zum einen, dass Dreyer im Rückspiegel auf ihn aufmerksam wurde, zum anderen natürlich einen Unfall mit unabsehbaren Folgen.
    Nawrod trat auf die Bremse. Schnell entfernten sich die Rücklichter des Golfs. Schon waren sie nicht mehr zu sehen. In zweiter Reihe stehend, drückte er auf den Knopf der Warnblinkanlage und betätigte die Hupe. Dann scherte er aus und überholte den vor ihm stehenden Audi Quattro. Sofort setzte ein wildes Hupkonzert ein, das sich zu einem ohrenbetäubenden Szenario verstärkte, als er langsam in den Kreuzungsbereich hineinfuhr. Er hörte Reifen quietschen und ein dumpfes Krachen. Ihm lief es kalt den Rücken hinunter. Er hatte eben einen Unfall verursacht, dessen Ausmaß er nicht abschätzen konnte. Es gab vielleicht Schwerverletzte. Sollte er anhalten? Dann wäre Dreyer aber über alle Berge. Er könnte eine Fahndung nach ihm einleiten, ein Anruf bei der Funkleitzentrale würde genügen. Doch was, wenn der Tatverdächtige durch die engen Maschen einer Raumfahndung schlüpfen würde? Es würde vermutlich Radeckes Tod bedeuten.
    Trotz wütender Drohgebärden und Dauerhupen zahlreicher Autofahrer schlängelte sich Nawrod mit seinem BMW über die große Kreuzung. Danach beschleunigte er im zweiten Gang auf 90   Stundenkilometer. Gleichzeitig rief er alle Instinkte ab, die sich jemals in seinem Hirn eingekerbt hatten. Mehrmals musste er in Sekundenbruchteilen entscheiden, ob Dreyer vielleicht in diese oder jene Seitenstraße abgebogen sein könnte. Es war eine Mischung aus Glücksspiel und eiskalter Kalkulation. Er schaute in den Rückspiegel. Gott sei Dank war ihm keiner der wütenden Autofahrer gefolgt. Die hatten wohl alle Hände voll zu tun, sich in dem Chaos, das er auf der Kreuzung verursacht hatte, zurechtzufinden.
    Plötzlich sah er den Golf vor sich. Er tauchte nach einer langgezogenen Kurve wie aus heiterem Himmel auf. Obwohl er das Kennzeichen noch nicht lesen konnte, gab es für Nawrod kaum einen Zweifel. Ich muss mich vergewissern, schoss es ihm durch den Kopf, dann werde ich mich wieder etwas zurückfallen lassen. Er trat das Gaspedal nur so weit durch, dass er langsam aufschloss und der Vorausfahrende keinen Verdacht schöpfen konnte. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und er konnte die Farbe des Wagens erst relativ spät erkennen. Silbergrau. Er nickte zufrieden. Dann sah er das Kennzeichen. HD  – LD 54, es gab keinen Zweifel. Es war Dreyer.
    Sie hatten die Innenstadt verlassen. Auf einem Hinweisschild sah Nawrod, dass sie in Richtung Schwetzingen/Hockenheim fuhren.

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