Die Sünde
zog aus der Mitte des Bündels vier Blätter heraus, auf denen 56 Namen von missbrauchten Jungen standen.
»Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn nicht einer von denen Philipp Otte das Herz herausgeschnitten hat. Vermutlich haben sich sogar ein paar davon zusammengetan, um grausame Rache an ihren Peinigern zu üben.«
»Wir können nicht alle 56 unter die Lupe nehmen, das würde zu viel Zeit kosten. Wer weiß, wo die jetzt alle wohnen.«
Nawrod nickte. »Da hast du vollkommen recht.«
»Also bleibt uns nichts anderes übrig, als Wegner die Liste zuzuspielen. Mit der Soko könnte man in zwei oder drei Tagen alle Personen auf der Liste abklären.«
Nawrod überlegte. »Es gibt noch eine Möglichkeit.«
»Und die wäre?«
»Du loggst dich in unseren Zentralrechner beim LKA ein. Von dort haben wir Zugriff auf sämtliche Einwohnermeldedaten.«
»Bist du verrückt, Jürgen? Die haben wahnsinnig gute Warnsysteme. Wenn die meinen Hackerangriff bemerken, rammen uns die Kollegen vom SEK in Nullkommanix die Tür ein und machen uns platt. Da verstehen die keinen Spaß. Selbst wenn ich über einen Server in Kirgistan gehe, haben die Spezialisten vom LKA genug Mittel und Wege, meinen Rechner zu lokalisieren. In solchen Fällen gibt es einen Ehrenkodex unter allen Polizisten auf dem Globus. Man hilft sich völlig unbürokratisch untereinander. Zwei, drei Anrufe und die Maschinerie beginnt zu laufen. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann sie uns am Arsch packen.«
»Ich will und kann dich zu nichts zwingen.« Nawrod sah Yalcin mit ernster Miene an.
»Nein, das kannst du nicht.«
»Würde es dir genügen, wenn ich die volle Verantwortung übernehme? Ich könnte sagen, dass ich dich mit irgendetwas erpresst habe.«
»Was soll der Quatsch? Entweder ich mache es oder mache es nicht.«
»Und, machst du es?«
Yalcin stand auf und ging an den Kühlschrank. Sie holte einen Becher Buttermilch heraus und trank davon.
»Möchtest du auch?«
»Nein.« Bei dem Gedanken, auch nur daran zu nippen, bekam Nawrod schon eine Gänsehaut.
»Wir müssen schnell sein und danach sofort aus meiner Wohnung verschwinden. Ist das klar?«
Nawrod nickte. Wieder staunte er über die Kälte, die plötzlich in Yalcins Stimme lag.
»Und du bezahlst mir die eingerammte Tür!«
»Wenn’s nichts weiter ist, versprochen.« Nawrod grinste.
Yalcin machte sich an die Arbeit. Es dauerte weit mehr als eine Stunde, bis sie sich in den Server des LKA eingeloggt hatte. Da ihr dienstlicher Account noch nicht gelöscht war, fand sie mit ihrem Passwort problemlos Zugang zu allen wichtigen Dateien und Ämtern. Sie rief noch einmal das Schwarzbuch des Vatikans auf und kopierte die Namensliste der missbrauchten Ministranten in eine Excelliste. Danach übertrug sie die Liste in ein virtuelles Antragsformular des bundesweiten Einwohnermeldeamtes und klickte auf »Senden«. Sekunden später erschienen zu den Namen die vollständigen Adressen und Geburtsdaten der fraglichen Personen. Yalcin gab sofort den Druckbefehl. Während Nawrod schon mal die Adressen überflog, bat er Yalcin, mit Hilfe der gewonnenen Daten nun eine Anfrage beim Kraftfahrtbundesamt und bei sämtlichen polizeilichen Dateien zu starten. Ohne auf die Namen zu achten, markierte Nawrod die Anschriften, die sich im Einzugsgebiet von Heidelberg befanden. Es waren nur vier. Doch plötzlich sprangen sie ihm regelrecht ins Gesicht. Er pfiff laut durch die Zähne. »Nesrin, halt dich mal fest!«, rief er laut. »Sagen dir die Namen Jochen Kapp und Markus Schaller etwas?«
»Natürlich, bin ja nicht verkalkt. Kapp war doch der Selbstmörder, der seinen eigenen Kopf auf dem Schoß hielt. Was ist mit dem?«
»Er ist einer von vier ehemaligen Ministranten, die hier in der Gegend wohnen und von Radecke, Otte und den anderen missbraucht wurden.«
»Und Schaller ist der Tierpfleger aus dem Frankfurter Zoo, den Wegner erwähnt hat. Er steht im Verdacht, das Etorphin gestohlen zu haben. Nein, das glaube ich nicht!«
»Wenn ich es dir sage. Hier!« Nawrod zeigte auf die Namen in der Liste.
»Dann könnten also die Schweinereien der Pfaffen der Grund für Kapps Selbstmord gewesen sein und nicht die Spielsucht, wie wir vermuteten. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass missbrauchte Kinder, so lange sie leben, unter einem Trauma leiden.«
»Wer weiß, vielleicht griff das eine ins andere über. Leider werden wir das nie erfahren.«
»Vielleicht doch.«
»Der Mann ist tot und seine Angehörigen haben
Weitere Kostenlose Bücher