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Die Sünde

Die Sünde

Titel: Die Sünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Toni Feller
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leise.
    »Scheiße«, fluchte Yalcin und drückte abermals auf die Klingel. Dieses Mal etwas länger. Nichts rührte sich. »Was meinst du, kann hier jemand eine Person auf Dauer gefangen halten, ohne dass davon jemand Wind bekommt?«
    »In diesem Hasenkasten? Wohl kaum. Obwohl, mir ist in Erinnerung, dass die RAF seinerzeit den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer auch in solch einem Wohnbunker mehrere Tage lang gefangen hielt. Sie hatten dafür eigens einen kleinen, schalldichten Kerker innerhalb der Wohnung gebaut. Aber ich denke nicht, dass Haider hier … warum sollte er?«
    »War nur so ein Gedanke.«
    Nawrod steckte das Kuvert wieder in den Briefkasten zurück. »Nichts ist unmöglich. Das sollte man sich als Ermittler immer vor Augen halten.«
    »Wir werden sehen, Herr Lehrer«, lachte Yalcin verhalten und drückte ein drittes Mal den Klingelknopf. Dieses Mal bedeutend länger und mehrmals hintereinander. Die Sprechanlage knackte kurz. Eine grüne Leuchtdiode ging an.
    »Ja bitte«, quäkte es aus dem Lautsprecher.
    »Polizei, bitte machen Sie auf. Wir müssen mit Ihnen sprechen.«
    »Geht jetzt nicht, ich muss schlafen«, antwortete eine müde Stimme.
    »Ist aber sehr wichtig«, entgegnete Yalcin freundlich. »Wir halten Sie nicht lange auf.«
    Yalcin verstand nicht, was die Stimme sagte, aber deutliche Verärgerung war darin zu hören. Dann erlosch die Leuchtdiode. Nawrod und Yalcin sahen sich schulterzuckend an. Sekunden vergingen. Gerade als sie noch mal auf die Klingel drücken wollte, hörte sie das summende Geräusch des Türöffners.
    Seit der Schießerei im Mercedes-Benz-Stadion und den nachfolgenden Monaten unter exzessivem Alkohol- und Tabletteneinfluss hatte Nawrod gegen alle Dinge, denen er sich ausgeliefert und in denen er sich eingeengt fühlte, eine abgrundtiefe Abneigung. Dazu gehörten neben Flugzeugen auch Fahrstühle. Sein zentrales Nervensystem hatte wohl durch den Alkoholmissbrauch etwas abbekommen. Er würde wahrscheinlich nie mehr fliegen, und wenn er die Wahl hatte, benutzte er immer Treppen statt Lifte. Doch dieses Mal befand sich die Wohnung im zwölften Stockwerk. Außerdem wollte er sich vor Yalcin keine Blöße geben. Ihm fiel auch keine passende Erklärung ein. Als sich die Fahrstuhltür hinter ihnen schloss und die Kabine mit einem sanften Ruck anfuhr, hob sich sein Magen etwa mit der gleichen Geschwindigkeit, wobei sein übriger Körper eher in Erdgeschosshöhe bleiben wollte. Bevor Yalcin etwas merkte, drehte er sich um und tat so, als ob er das Tastenschild, das sich hinter ihm befand, studieren wolle. Dabei stützte er sich mit beiden Händen an der Wand ab. So verharrte er, bis sich die Tür mit einem leisen Gong öffnete.
    »Du bist ja ganz blass, Jürgen. Ist dir nicht gut?«, fragte Yalcin besorgt.
    »Was … wie … nein, ich bin okay. Da vorne dürfte es sein.« Nawrod atmete tief durch und deutete auf die dritte Tür von rechts, die einen großen Spalt breit offen stand. Sie klopften und ein missmutiges »Herein« war die Antwort.
    »Guten Tag, Frau Haider.« Die Angesprochene stand etwa zwei Meter vor ihnen. Ihre kurzen, strähnigen Haare waren dermaßen zerzaust, als ob sie gerade einen Hurrikan überstanden hätten. Man konnte sie weder als blond noch als braun bezeichnen. Der schmuddelige, viel zu große Bademantel hing an der Frau wie der Lumpen an einer Vogelscheuche. Nawrod gab sich alle Mühe, freundlich zu sein. »Wir sind von der Kripo Heidelberg und kommen wegen Ihrer Anzeige gegen Ihren Ex-Mann.«
    »Kommen Sie herein und machen Sie die Tür hinter sich zu. Müssen ja nicht alle wissen, dass mich die Bullen mal wieder besuchen.« Ihre Stimme klang rau und kalt.
    »Sie sind doch Frau Tina Haider?«, fragte Yalcin, um sicherzugehen, dass sie es mit der Richtigen zu tun hatten.
    »Wer soll ich denn sonst sein?«, gab die Frau mürrisch zurück und ging voraus in das Wohnzimmer. Dort ließ sie sich müde in einen Sessel fallen. Sie schlug ihre Beine übereinander, wodurch sie bis weit über die Knie entblößt wurden.
    »Was wollen Sie? Ich habe den Bullen doch schon alles gesagt. Und überhaupt, was hat die Kripo mit der Sache zu tun? Ich habe die Anzeige bei der anderen Fraktion erstattet.« Plötzlich erhellte sich ihr hageres Gesicht und ein vielsagendes Lächeln umspielte ihren Mund. »Hatte eine schicke Uniform an, der Junge. Der wäre eine Sünde wert gewesen.« Frau Haider kramte in den Taschen ihres schmuddeligen Bademantels und zog eine

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