Die Sünde
einen doppelten Bourbon ein und stellte das halb gefüllte Glas vor Nawrod.
Der feinherbe, ganz eigentümliche Geruch des Alkohols drang sanft und verführerisch in seine Nase, obwohl das Glas noch in einigem Abstand vor ihm auf der Theke stand. Nawrod legte beide Hände flach auf den Tresen und stützte darauf sein Kinn ab. Es war ein seltsames Bild. Halb stehend, halb auf dem Barhocker sitzend, starrte er das Glas an. Der gelbbraune, lauernde Inhalt reflektierte schimmernd die über der Theke hängende Lampe. Der Dreckskerl nannte sie Sammi, schoss es ihm durch den Kopf. »Wer immer du auch bist, Ulli, dich werde ich mir vorknöpfen«, zischte er leise. Langsam umfasste seine Hand das Glas. Es fühlte sich kalt an, obwohl sich kein Eis darin befand. Er war wieder so weit.
33
Sie würden ihn töten. Stück für Stück. Radecke schaute auf seine linke Hand. Die pochenden Schmerzen waren unerträglich. Dort, wo einst sein Mittelfinger gewesen war, befand sich nichts mehr. Nur die Fingerwurzel hatten sie ihm gelassen. Sie war überzogen mit einem dunkelroten, bizarr aussehenden Blutklumpen, den er nicht zu berühren wagte. Er musste die Hand stillhalten, wenn er nicht riskieren wollte, dass die noch frische Blutkruste aufplatzte. Bauch und Oberschenkel waren blutverschmiert. Diese Bestien hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn nach der Amputation notdürftig zu versorgen. Sie hatten ihn bewusstlos in seine Zelle geschleppt und einfach auf dem Boden liegen gelassen. Würden sie ihm beim nächsten Mal seinen Pimmel abschneiden, so wie es der Kahlköpfige vorhatte? Obwohl ihm dieser uniformierte Affe weitaus brutaler erschien als der andere, musste er sich an ihn halten, denn der war auf die halbe Million viel schärfer als der blonde Stricher, der sich als sein Richter aufgespielt hatte. Das Geld würde den Kahlköpfigen blenden und dazu verleiten, Fehler zu machen.
Trotz der fürchterlichen Schmerzen arbeitete Radeckes Hirn weiter. Er würde Bankvollmachten und dergleichen nur nach und nach unterschreiben. So konnte er Zeit gewinnen. Ihm war klar, dass sie ihn töten würden, sobald sie im Besitz seines gesamten Vermögens waren. Sie mussten ihn töten, denn sie trugen keine Masken und er würde sie jederzeit wiedererkennen. Ihre Gesichter würde er nie vergessen, so lange er lebte. Aber wie lange würde das noch sein?
Die Eigentumswohnung konnten sie nicht so schnell zu Geld machen. Spätestens die bräche ihnen das Genick, hoffte er. Daniel hatte bestimmt schon die Polizei verständigt. Ganz sicher hatte er das! Sie liebten sich doch und waren ganz offiziell verheiratet. Auch wenn er ihn regelmäßig mit Strichern betrog. Das hatte nichts mit ihrer Beziehung zu tun. Er stand nun mal auf bestimmte Praktiken, die ihm Daniel nicht bieten konnte. Und er bevorzugte junge Männer, je jünger, desto besser. Das lag in seiner Natur. So hatte ihn Gott oder wer auch immer erschaffen. Es war nicht seine Schuld. Er konnte einfach nicht aus seiner Haut schlüpfen. Daniel war immer zärtlich zu ihm. Sex mit ihm lief auf einer ganz anderen Ebene als mit den Strichern ab. Sie liebten sich, wie sich Tausende andere Schwulenpaare liebten. Meistens war es Daniel, der für die entsprechende Stimmung sorgte. Ihm machte es Spaß, auf dem Wochenmarkt Spezialitäten einzukaufen und daraus herrliche Menüs zu kreieren, die sie bei Kerzenlicht zu sich nahmen. Mit einem guten Glas Champagner, Marke Ruinart-Blanc de Blancs, angetörnt, stiegen sie anschließend ins Bett. Nicht selten hatte Daniel das Laken mit roten Rosenblüten dekoriert. Er war durch und durch Romantiker, der seinen Partner verwöhnen und glücklich machen wollte. Doch er, Radecke, brauchte auch das andere. Den harten, manchmal sehr vulgären Sex mit all seinen Ausschweifungen und Niederungen, bei dem er alles vergaß, einschließlich sich selbst. Wie oft hatte er bereits beim Vorspiel seinem Stammstricher gesagt, er wolle ihm ausgeliefert sein und er solle mit ihm machen, was ihm gerade in den Sinn komme. Er ließ sich fesseln, auspeitschen, übergroße Dildos einführen und bis zum Exzess erniedrigen.
Der Stricher war zwanzig Jahre alt. Radecke hatte sich den Ausweis zeigen lassen. Aber er sah aus wie fünfzehn. Einmal hatte ihm der Stricher einen guten Freund angeboten, der das Aussehen eines Zwölfjährigen hatte. Er fragte nicht, legte die 500 Euro auf den Tisch und trieb es mit dem Jungen über zwei Stunden lang. Den Burschen sah er nie wieder.
Und nun
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