Die Sünde
Meinung, dass wir ein neues Opfer haben.«
»Ach, bevor ich es vergesse: Barbara hat im Gewebe des Fingers deutliche Spuren von Etorphin festgestellt.«
»Und was bedeutet das?«, fragte Nawrod verwundert.
»Etorphin ist laut Barbara ein halbsynthetischer Verwandter von Morphin, allerdings mit etwa 1.000- bis 3.000-facher Wirkung. Es wird hauptsächlich zur Betäubung von größeren Wildtieren eingesetzt und ist nur für den veterinärmedizinischen Bereich zugelassen.«
»Ist das das Zeug, das mit Betäubungsgewehren verschossen wird?«
»Du hast es erraten. Aber man kann es auch mit Injektionspfeilen aus Blasrohren verschießen oder einfach mit einer Spritze verabreichen.«
»Und wie kommt man an dieses … wie heißt es noch mal?«
»Etorphin ist sein gebräuchlicher Name. Es gibt noch eine andere Bezeichnung, die aber sehr kompliziert klingt, weil sie mehrere Wörter und Zahlen enthält. In Deutschland wird das Mittel hauptsächlich im Zoo zur Narkotisierung von Elefanten, Giraffen und Bären verwendet. Ein Zirkus könnte es auch haben. Es unterliegt dem Betäubungsmittelgesetz und wird regulär nur an Tierärzte ausgeliefert. Im Internet gibt es jedoch ausländische Anbieter, bei denen man es ohne irgendwelche Beschränkungen jederzeit bestellen kann.«
Nawrod musste schmunzeln. »Wusste gar nicht, dass Menschen zu den Großtieren zählen.«
»Tun sie auch nicht. Barbara meinte, dass der Umgang mit Etorphin viel Sachkenntnis voraussetzt. Es ist vorgeschrieben, dass bei dessen Anwendung immer eine zweite Person bereitstehen muss, die das Gegenmittel Nalaxon injizieren kann, falls der behandelnde Tierarzt zum Beispiel versehentlich ausrutscht und sich die Spritze selbst verpasst. Bereits eine geringe, unkontrollierte Menge führt sehr schnell zu einer Atemdepression und in deren Folge zum Tod.«
»Wie kann es dann sein, dass unser Opfer die Narkotisierung überlebt hat?«
»Barbara meinte, der Mann könnte unmittelbar nach der Betäubung und dem Abtrennen des Fingers gestorben sein.«
»Das würde aber nicht zu Haiders Artikel passen, der zweifellos so zu interpretieren ist, dass wir noch weitere Körperteile erhalten.«
»Die Täter können die Leiche eingefroren haben und bei Bedarf jedes beliebige Teil oder Organ entnehmen.« Sabine Bauer schauderte bei dem Gedanken.
»Sie müssen aber damit rechnen, dass das die Gerichtsmedizin feststellt. Damit hätten sie kein Druckmittel mehr.«
»Wie kommst du darauf, dass sie mit ihren Taten Druck ausüben wollen?«, fragte Bauer verwundert. »Sie haben bisher keinerlei Forderungen gestellt.«
»Stimmt, aber …« Nawrod zögerte. »Es ist eigentlich ein Hirngespinst.«
»Hirngespinsten entspringen oft die besten Ideen. Was spukt in deinem Kopf herum?«
»Auffallend ist, dass die Täter die Päckchen im 4-Tage-Rhythmus aufgaben und die Verstümmelungen in ihrem Ausmaß steigerten. Zuerst Finger, dann Ohr, Auge und schließlich das Herz. Ich habe das Gefühl, dass sie damit sehr wohl einen bestimmten Druck auf uns erzeugen wollen.«
»Kannst du dich noch an Uhls Worte erinnern? Vielleicht wollen diese Bestien einfach ein Spiel mit dir treiben.«
»Könnte sein. Aber ich glaube, da steckt mehr dahinter. Die Täter wollen uns ganz sicher etwas mitteilen. Und sie wollen Rache. Das ist aus Haiders E-Mail zu entnehmen.«
»Wir müssen uns auf jeden Fall fragen, weshalb sie dieses für Menschen nicht ungefährliche Etorphin als Narkotikum verwenden und woher sie es haben.«
»Hm«, brummte Nawrod. »Das heißt, dass wir eine neue Spur haben, der wir nachgehen müssen. Wir müssen die Kontobewegungen der beiden zurückverfolgen. Wenn sie das Zeug im Internet bestellt haben, mussten sie es per Überweisung bezahlen.«
»Sie können es auch gestohlen haben«, gab Sabine Bauer zu bedenken.
»Das würde die Ermittlungen erschweren. Kannst du nicht mal langsam zu den erfreulichen Nachrichten kommen?«
»Okay, lieber Jürgen. Ich darf dir mitteilen, dass Barbara sich mächtig ins Zeug gelegt hat. Sie hat nicht nur die chemisch-toxikologische Untersuchung mit Eifer vorangetrieben, sondern auch schon die DNA des zweiten Opfers entschlüsselt. Sie hat mir den Code bereits gemailt und ich habe ihn sofort an das BKA sowie an alle Landeskriminalämter weitergeleitet. Vielleicht haben wir Glück und das Opfer ist in der DAD schon gespeichert oder unter den als vermisst gemeldeten Personen.«
»Das ist wirklich eine gute Nachricht. Ich verspreche mir einiges von der
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