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Die Suenden der Vergangenheit

Die Suenden der Vergangenheit

Titel: Die Suenden der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: May R. Tanner
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schlechter Mensch.
    „Lass mich gehen!“ Crystals Stimme bestand nur noch aus purer Verzweiflung und Angst.
Sie war in dem Szenario, das sie in ihrer Gier angerichtet hatte, gefangen. Es roch immer noch nach dem Blut ihres Opfers. So eindringlich und penetrant, als wäre die Frau, die sie in der Penn Station angefallen hatte, im Kofferraum gefangen.
    „Sht, hab keine Angst. Es ist alles gut!“
    Die Hand, die nach ihr ausgestreckt wurde, ließ sich nicht abwehren. Crystal holte scharf Luft, als die feingliedrigen weißen Finger ihre Wange berührten und behutsam etwas von dem Blut fortwischten, das ihr über das ganze Gesicht gespritzt war, als sie die Halsschlagader ihres Opfers förmlich zerfetzte und eine Sekunde des Unglaubens ihren Hunger und die groß gewordene Blutlust in ihr dämpfte.
    Als hätte ihr Gegenüber ihre Gedanken geahnt, schlangen sich die Finger plötzlich unnachgiebig hart um ihr Gesicht. Crystal wurde vom Sitz auf den Boden gezogen, ohne sich groß dagegen wehren zu können.
    Sie hatte zwar getrunken, aber sie war nicht fähig, daraus Kraft zu schöpfen oder Vorteile zu ziehen. Erstens wusste sie nicht, wie und zweitens hatte man dafür gesorgt, dass sie niemals erfahren würde, was es bedeutete, anders zu sein und was aus ihr geworden war. Sie fungierte als Behälter ohne eigenen Willen. Ferngesteuert wie eine Marionette. Gedanklich kontrolliert von ihrem Meister, der sich niemals selbst die Hände an irgendwem schmutzig machen würde.
    Crystal schrie leise auf, als ihr Kopf unnachgiebig zur Seite gebogen und die blutverklebten, schweißfeuchten Haarsträhnen förmlich nach hinten gerissen wurden. Das Band um ihren Hals wurde ebenfalls weiter nach oben gerissen und Crystal glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, weil so hart daran gezogen wurde, dass es auf die Kehle drückte.
    „Bitte!“, flehte sie ein letztes Mal.
    Wohl wissend, dass sie weder ihre Freiheit noch Gnade zu erwarten hatte. Sie war ein wehrloses, instinktgetriebenes Tier an einer sehr kurz gehaltenen Kette. Eine Kette, die nur gelöst wurde, wenn sie dem Wahnsinn zu verfallen schien und unbedingt ihren Hunger stillen musste. Ein Hunger, der bedeutete, dass sie Unschuldige tötete. Und doch konnte sie nicht anders. Sie musste es tun. Die Schmerzen in ihrem Kopf und in ihren Eingeweiden brachten sie sonst um. Manchmal glaubte sie, es wäre besser, einfach zu sterben, doch man ließ sie nicht und sie war im Grunde auch zu feige, um sich so sehr zu Wehr zu setzen, dass man die Geduld mit ihr verlor. Sie wollte wirklich niemandem weh tun, aber sie konnte einfach nicht anders.
    „Mmmhmm!“, hörte sie dicht an ihrem Ohr und kurz darauf den tiefen Atemzug, den ihr Entführer nahm, um sich an ihr zu berauschen.
    Eine dunkle Flut schwarzer Haare hüllte ihr Gesicht ein und ließ sie einen betörenden Duft exotischer Früchte atmen, der sich mit dem ihres Opfers mischte. Crystal bekam keine Luft mehr.
Der Mantel des Todes hatte sich über sie gelegt und sie wusste noch bevor sie das flammende Feuer in den rotvioletten Augen ihrer Entführerin sah, dass sie ihre Freiheit wieder bekommen würde. Jedoch nicht so, wie sich Crystal es erhofft hatte.
    Das Letzte, was sie in diesem Leben spürte, war Schmerz. Ausgelöst von dem tiefen, brutalen Biss in ihren Hals und übernommen von den Strahlen der Sonne, die ihren gepeinigten Körper zu Asche verbrannte.
    "Unnützes Ungeziefer!"
    Die Stimme klang wie die klirrende Kälte eines zu früh einbrechenden Winters. Und unzufrieden. Das kleine Experiment war gescheitert. Ein solches Fiasko würde sich beim nächsten Mal nicht wiederholen. Es war zu ärgerlich, das Mädchen verloren zu haben. Leider gab es unter ihnen nicht so viel Auswahl, wie man annehmen mochte. Die Immaculates hüteten ihre Frauen schließlich wie Schätze.

4. Vergangenheitsbewältigung

    Freitag, 10. August; früher Morgen
    Gloria hatte trotz der abgeschlossen Zimmertür weder ausreichend Ruhe noch genügend Schlaf gefunden. Das lag nicht nur an der fremden Umgebung, sondern vielmehr an den Bildern der vergangenen Stunden, die sie heimsuchten, sobald sie ernsthaft die Augen schloss und versuchte, ihre scheinbar ausweglose Situation so positiv wie möglich zu sehen. Plötzlich konnte sie sich an jedes Detail der Nacht seit dem Verlassen der Bar erinnern und sah die Geschehnisse wie einen schlechten Film vor ihrem inneren Auge vorüber ziehen. Sie sah noch einmal ihre Angreiferin und die höllischen Zähne, die sie sich

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