Die Suenden der Vergangenheit
Unverständnis und Fassungslosigkeit sprach.
„Das entschuldigt dein Verhalten kein Bisschen, Mathilda! Es macht es nur noch unbegreiflicher! Du bist genauso schlimm wie Avia oder gar schlimmer! Dabei hattest du die Chance, es besser zu machen als sie!“
Romy und Cat tauschten einen fragenden Blick aus und zuckten mit den Schultern, weil sie nicht verstanden, wovon Nico da sprach. Die Worte waren ja für die Missetäterin bestimmt, die würde schon wissen, worum es ging. Nun mussten sie nur noch warten, dass die Kavallerie anrückte, da man Gloria kaum auf dem Motorrad in die Fortress oder sonst wohin schaffen konnte.
Cat ging neben der Tante in die Knie und zog ihren Kopf an den Haaren nach oben, weil sie keine Reaktion zeigte, wo sie doch vorhin noch so aufmüpfig gewesen war.
"Hey! Sie hat mit dir gesprochen! Betteleien wollen wir nicht hören, aber ich denke, dass Gloria gern eine Antwort hätte!", verlangte Cat energisch und schüttelte die Frau leicht, um ihre Worte zu unterstreichen, dann beugte sie sich weiter vor, bis ihr Mund sich über deren Ohr befand.
"Zier dich besser nicht! Du willst doch nicht ein Kind des Lichts erzürnen! Du weißt bestimmt, dass dir das nicht gut bekommen würde!", flüsterte Cat ihr zu. Sie wussten zwar immer noch nicht, welche Überraschungen noch in Nico steckten, doch die alte Vettel war ja mal an der Quelle gewesen, so dass sie bestimmt das eine oder andere aufgeschnappt hatte.
„Sie?! Ein Kind des Lichts ? Dieses kleine, hilflose Püppchen, das bei jeder Vision, die sie ereilt, fast aus den Latschen kippt?“
Mathilda musste ihren Kopf gar nicht mehr in den Nacken werfen, um dem hysterisch ungläubigen Gelächter in ihrer Kehle Platz zu machen. Cat hatte ihren Nacken schon bis zum Anschlag gestreckt. Dann riss sie sich mit einem heftig schmerzenden Ruck los. Noch mehr Haare rissen mit der Wurzel aus, doch Mathilda konzentrierte sich ganz allein auf Nico, deren Schutzgeist in ihren Eingeweiden wütete, um sie zur Ruhe zu zwingen. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr. Ihr ging bereits die Luft aus. Peters Blut war nicht mächtig genug, um ihr ausreichend Stärke und Macht zu verleihen, die sie brauchte, um mit dieser Bande von Kindern fertig zu werden.
„Du weißt gar nichts über mich und meine Chancen, Nicolasa. Sophora des Hauses Lovania. Es war nicht meine Großmutter sondern die Steine. Alte Frauen sterben irgendwann. Ein Kind kann dabei sogar nachhelfen.“
Mathildas Augen leuchteten nur noch schwach rosa, doch es lag so viel Andeutung in ihnen, das klar wurde, das ihre Avia keinen natürlichen Tod gefunden hatte. Es war nötig gewesen. Sie war eine böse Frau. Das Orakel hatte es begrüßt, Scientia mit einer würdigeren Nachfolgerin zu besetzen. Mit Mathilda.
„Es waren die Steine, Kleines. Die Steine.“ Die Verachtung in Mathildas Gesicht wich und ihre Züge wurden wieder weicher und weniger rebellisch.
„Eine Prophezeiung zu viel, und ich war mir sicher, dass ich doch nicht dafür bestimmt war, ein Haus zu führen und dem Orakel zu dienen. –Mehr müsst ihr nicht wissen. Ihr seid Kinder. Ihr werdet noch früh genug dahinter kommen, was es wirklich heißt, unsterblich zu sein. Verluste habt ihr schon alle durchlebt und ihr wurdet aufgefangen und getröstet. Aber eines Tages werdet ihr fallen und fallen und fallen. Kein Netz, kein doppelter Boden, kein Krieger, der an eurer Seite ist und eure Tränen trocknet.“
Mathilda sprach nicht mehr im Hass, sondern stellte ihre Worte wie eine feststehende Tatsache in den Raum. Sie war nicht mehr fähig, die Details zu sehen oder ihren Worten mehr als eine schwammigere Bedeutung zu geben. Vielleicht reichte es, den Mädchen zu verstehen zu geben, dass das Erlangen von Unsterblichkeit keineswegs irgendeine Erfüllung brachte.
„Das wollte ich Gloria ersparen. Ihr mögt das nicht verstehen. Ihr seid noch alle auf Abenteuer und Gerechtigkeit aus. Gerechtigkeit gibt es nicht. Nicht in dieser Welt und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie auch in keiner anderen auf uns wartet.“
Da sie nicht mehr in Cats hartem Griff gefangen war, gelang es Mathilda den Kopf in Richtung ihrer Nichte zu wenden, die sich mit zitternder Hand das Tuch mit den Eisbeuteln an den geschundenen Hals presste. Ihr Geist schien weit fort zu sein. Der Schock hatte sie in seiner Gewalt und obwohl Mathilda gerade noch versucht hatte, sie zu töten, tat ihr der Anblick der armen, kleinen Gloria, die sie nur auf ihre Art zu beschützen versucht hatte,
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