Die Suenden der Vergangenheit
getäuscht haben musste. Nico stand immer noch zwischen ihnen. Ein Hindernis, das Chryses kaum wahrnahm, da sie so klein und zart gebaut war. Er sah seinem Bruder in die saphirblauen Augen, in denen er nicht zu lesen vermochte und ihm wurde klar, dass er trotz seiner Drohungen und dem Schweigen, das von nun an vielleicht zwischen ihnen herrschen würde, wenn nicht die ganze Wahrheit ausgesprochen wurde und Romy nicht bereit war, Ron zu verzeihen, nichts in ihm erreichen würde. Theron hatte eine Mauer um sich herum aufgebaut, die undurchdringlich war. Die Kälte und Gleichgültigkeit, die er zur Schau stellte, mochte nicht so echt sein, wie sie auf die anderen wirkte, doch es war schwer, dahinter den Bruder wiederzufinden, den Rys einmal gehabt hatte.
Er dachte immer, sie würden einander im Kampf verlieren. Einer von ihnen starb und der andere blieb zurück, bis sie sich irgendwann dort wiedersahen, wo die Seelen der Toten eben hingingen, wenn sie ihre sterbliche Hülle nicht mehr brauchten. Sie standen füreinander ein, ließen einander niemals im Stich und Rys würde sich jederzeit für Theron opfern. Allerdings stellte er jetzt fest, dass es nichts mehr zu opfern gab. Theron hatte sich bereits soweit von ihm entfernt, als wäre er von ihnen gegangen. Das Blut, das beständig aus seiner Nase tropfte, die mehrfach gebrochenen Knochen, all das machte seinen Anblick nicht lebendiger. Die Augen blieben seltsam entrückt. Er hatte sich zu lange angewöhnt, keine Gefühle zu zeigen. Nun erstickte er daran. Er erstickte an seiner Führungsrolle, an seiner Loyalität, an seinem verdammten Pflichtbewusstsein und es gab nichts, was Rys tun konnte, um seinem Bruder zu helfen.
„Ich will es nicht wissen.“, widersprach Rys der Wut in sich und allem, was er sonst noch fühlte. Ja, fühlen war hier das entscheidende Wort.
Es war nicht mehr allein Therons Schuld. Er hatte ihn im Stich gelassen, als Theron ihn am meisten gebraucht hätte. Natürlich konnte Rys seine Gedanken nicht lesen und der große Bruder war eben gut darin, sich vor der Welt hinter einer glatten Fassade zu verstecken. Trotzdem hätte er es merken müssen. Dafür waren sie Brüder. Es war nicht mehr an Ron allein sich wie ein Versager zu fühlen.
„Du hättest zu mir kommen können, Bruder.“ Rys schüttelte den Kopf und war drauf und dran, sich abzuwenden und alle unliebsamen Besucher bis auf Romy aus seinem Apartment zu werfen. Er würde es nicht tun, da er wusste, was sich gehörte und auch er gut darin war, die falschen oder eben richtigen Dinge zum umgekehrten Zeitpunkt zu tun. Romy hatte vielleicht doch noch Fragen, die weder Rys noch Nathan zu stellen wagten.
„Du hättest zu mir kommen können.“
Eine leise Anklage, auf die Rys keine Erklärung bekommen wollte und würde. Oder vielleicht doch?
Ron lehnte sich schwer an die Wand hinter sich, wobei sich einige der Glassplitter, die vorhin bei dem Gerangel zu Bruch gegangen und in seinem Pullover hängen geblieben waren, sich tief in sein Fleisch bohrten, doch diesen Schmerz spürte er gar nicht. Er war gut darin, solche Dinge auszublenden, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. War es nicht genau diese Fähigkeit gewesen, die Malakai schließlich das Leben gekostet hatte?
Nico rührte sich nicht weg, Ron spürte ihre Körperwärme und den um seine Taille geschlungenen Arm. Er hörte das Pochen ihres Herzens und fühlte ihren regelmäßigen Atem, was ihn irgendwie beruhigte. Sie war wirklich ein liebes Mädchen. Er würde sie niemals mit anderen Augen betrachten können. Das geschah nicht aus Unterschätzung ihrer Person oder ihrer Fähigkeiten. Sie würde eines Tages ganz groß werden, das wusste er mit Sicherheit. Sie hatte ihm ja schon erfolgreich eine listige Falle gestellt.
Rys baute sich vor ihm auf und aus ihm schossen die Emotionen nur so heraus. Sie trafen ihn wie scharfe Geschosse, die sich tief in seinen Körper bohrten. Sein kleiner Bruder hatte aus seinem Herzen noch nie eine Mördergrube gemacht, es war sein Privileg, all diese Dinge ausleben zu dürfen. Das dachte Theron ohne Neid. Er war von klein auf darauf vorbereitet worden, dass er später für die Warrior die Verantwortung tragen würde. Für seine Brüder und für seine Rasse. Er war dafür prädestiniert, es entsprach seinem Wesen, sich zurückzunehmen und den Verstand walten zu lassen. Es war im niemals schwer gefallen, das eigene Wohlergehen hinten an zu stellen, egal wie tief einen das Gefühl traf, sich
Weitere Kostenlose Bücher