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Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Titel: Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Nugent
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Löschmannschaft für mich ein Moment der Erleichterung war, auch wenn zu diesem Zeitpunkt die Flammen längst jede Hoffnung vernichtet hatten.
    Am Ende jener Nacht war der Ostflügel völlig ausgebrannt. Durch die rußgeschwärzten Fensterhöhlen sah man den Nachthimmel und ein paar eingestürzte Dachbalken. Für Monsieur und den Jungen bestand keine Hoffnung mehr. Arme Madame. In einer einzigen Nacht erbarmungslos ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft beraubt.
    Erst nachdem ich Madame Véronique, lautlos schluchzend und am Boden zerstört, in den Krankenwagen gebracht hatte, bemerkte ich Oliver, wie er hinter mir stand: reglos, stumm, das Gesicht wie versteinert. Nur seine Hände zitterten so heftig, als gehörten sie nicht zu ihm. Er stand unter Schock.

VII
    V É RONIQUE
    Seit ein oder zwei Monaten geht Olivers Name auch hierzulande durch die Presse. Aber ich werde keine weiteren Interviews mehr geben. In gewisser Weise fühle ich mich verantwortlich für das, was er seiner Frau angetan hat. Ich komme nicht dagegen an. Es ist schrecklich, aber jedes Mal, wenn ich seinen Namen höre, muss ich an die Weinlese des Jahres 1973 denken, und der Schmerz kehrt zurück. Ich spüre ihn noch immer genauso heftig, wie ich ihn vor vierzig Jahren gespürt habe.
    Die schlimmste Zeit seines Lebens vergisst man nie, so sehr man es auch versucht. So viele Jahre habe ich mir gewünscht, es wäre anders. Was, wenn man dieses getan hätte, was, wenn man jenes getan hätte … Doch der Schmerz bleibt. Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Das stimmt nicht. Man gewöhnt sich nur daran, mehr nicht.
    Doch ich will versuchen, eine Erklärung zu finden, ehe mir all das entfällt. Um zu verstehen, was geschehen ist, muss man viele Jahre zurückgehen, in die Zeiten meines Vaters. Nur so lässt es sich wohl begreifen.
    Der Krieg hat meinen Vater lange vor seiner Zeit zu einem alten Mann gemacht. Ich war damals noch ein kleines Kind und verstand nur wenig von dem, was um mich her vorging. Doch erinnere ich mich, dass eine zeitlang ein steter Strom an Besuchern bei uns auf dem Anwesen eintraf. Heute weiß ich, dass es jüdische Familien aus den umliegenden Dörfern waren, denen mein Vater während des Vichy-Regimes Zuflucht geboten hatte vor dem Präfekten von Bordeaux. Mittlerweile ist auch bekannt, dass dieser treue Staatsdiener die Deportation von 1690 Juden, darunter 223 Kinder, in das Durchgangslager Drancy, nahe Paris, veranlasst hat. Von dort aus wurden sie dann in die Vernichtungslager im Osten gebracht.
    Es ist unfassbar, dass so viele meiner Landsleute tatenlos zugesehen haben. Völkermorde geschehen noch immer, jeden Tag, irgendwo auf der Welt. Natürlich ist es einfacher für uns, davor die Augen zu verschließen und so zu tun, als ginge uns das nichts an. Es ist ein Leichtes, den Fernseher auszumachen oder die Meldung in der Zeitung zu überlesen.
    Mein Vater war ein grundanständiger Mensch mit einem ausgeprägten Moralgefühl, er war ein Intellektueller und ein Held. Der Tod meiner Mutter kurz nach der Besetzung hat ihm das Herz gebrochen. Aber sie hatte viel von dem Grauen, das folgen würde, vorausgesehen und meinem Vater das Versprechen abverlangt, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um unsere Freunde zu beschützen – ganz gleich welchen Glaubens sie waren. Unsere Verhältnisse waren durchaus komfortabel zu nennen. Wir lebten auf einem Château, welches sich seit sieben Generationen im Besitz der Familie meines Vaters befand. Unser Geld verdienten wir mit Weinbau; wir produzierten gute Weine, die sich in ganz Europa verkauften, und konnten vielen Menschen aus der Region Arbeit geben. Mein Vater war weniger geschäftstüchtig als meine Mutter und tat sich schwer, nach ihrem Tod den Betrieb weiterzuführen. Zu sehr beschäftigte ihn auch das politische Geschehen der Zeit; es entsetzte ihn, dass die Vichy-Regierung solchen Untaten Vorschub leistete.
    Vor allem in der Zeit zwischen 1942 und1944 , als Verhaftungen und Deportationen mit voller Unterstützung der französischen Behörden immer weiter um sich griffen, bot Papa jüdischen Familien aus dem ganzen Umland Zuflucht in unseren Weinkellern an. Er wollte nicht schweigen und wurde einige Male beim Generalsekretär der Präfektur vorstellig, doch vergebens. Und so nahm er die Sache selbst in die Hand. Mit Hilfe lokaler Informanten konnte er den Abtransporten oft zuvorkommen. Meine Tante Cécile war in der Widerstandsbewegung von Bordeaux aktiv; ihr Netzwerk und ihre Kontakte

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