Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Eines Tages kollabierte Laura und wurde in einem Zustand völliger Erschöpfung in die Küche getragen. Der Arzt wurde gerufen, und Oliver und ich begannen uns ernsthaft Sorgen zu machen, aber Madame hatte wie üblich alles unter Kontrolle. Laura habe nur eine kleine Magenverstimmung, ließ sie uns wissen. Ein paar Tage Bettruhe, und sie werde wieder putzmunter sein. Laura wurde in einem der Turmzimmer im Schloss untergebracht. Mehrmals am Tag stieg ich eine furchtbar knarzende Holztreppe hinauf, um zu schauen, wie es ihr ging. Meist fand ich Laura in Tränen aufgelöst und nicht sehr gesprächig, woraus ich schloss, dass es um ihre Beziehung zu Oliver noch schlimmer stand als gedacht. Doch ganz ehrlich, konnte man es ihm verdenken, wenn er langsam das Interesse verlor? Ihr ewiges Herumgejammere ging uns allen auf die Nerven. Ich versuchte, das Thema vorsichtig zur Sprache zu bringen, aber sie wiegelte ab und meinte, ich »würde es nicht verstehen«. Da hatte sie recht. Ich verstehe es noch immer nicht.
Ich versuchte, mit Oliver zu reden. Seiner Ansicht nach war Laura einfach nur eifersüchtig, weil wir bessere Jobs hatten als sie. Er gab zu, mit ihr Schluss machen zu wollen und dass es Laura anscheinend schwerfiel, das zu akzeptieren. Der Grund war angeblich, dass seine Arbeit mit Monsieur sehr viel Zeit beanspruchte, was Laura ihm ständig zum Vorwurf mache.
Daraus schloss ich wiederum, dass seine neue »Familie« ihm wichtiger war als Laura. Selbst wenn er Laura früher mal geliebt hatte, gegen seine Zuneigung zu Monsieur und dem Jungen kam sie nicht an; Oliver verbrachte seine Zeit lieber mit ihnen als mit ihr. Das versuchte ich Laura so vorsichtig wie möglich beizubringen und riet ihr, Oliver Zeit zu lassen. Schließlich würden wir nicht ewig hier bleiben; bald würden wir nach Irland zurückkehren, und so seltsam sein Faible für diese fremde Familie jetzt auch anmute, so sei es doch nur eine Phase, die vorübergehen werde.
Aber Laura beharrte darauf, dass es vorbei war, dass ihr gar keine andere Wahl blieb, als sich mit Olivers Zurückweisung abzufinden. Mehr gab es ihrer Ansicht nach dazu nicht zu sagen – was mich nur in meiner Vermutung bestärkte, dass das längst nicht alles war. Trotzdem entschied ich mich, nicht weiter nachzubohren. Vorerst. Doch dann sollten die Ereignisse sich derart überschlagen, dass Lauras unerklärliche Launen darüber in Vergessenheit gerieten.
Drei Wochen später, einen Tag nach dem eigentlichen Beginn der Weinlese, lagen wir wie erschlagen in unseren Betten. Sobald die Trauben reif waren, zählte jeder Moment. Also mussten auch Oliver und ich jetzt wieder mit hinaus auf die Felder. Von unseren Beschäftigungen in der Küche und der Bibliothek waren wir vorerst abberufen worden. Völlig fertig fiel ich an jenem Abend ins Bett, wachte aber ein paar Stunden später wieder auf. Vor lauter Erschöpfung wusste ich im ersten Moment kaum, wo ich war. Von draußen drangen laute Stimmen herein. Oliver und Laura schrien sich an. Oder nein, fairerweise muss man sagen, dass Laura es war, die ihn anschrie. Mittlerweile waren auch die anderen aufgewacht, ein paar gingen hinaus um zu schauen, was los war. Ich hatte langsam genug von den Launen meiner Schwester. Sie machte sich zum Gespött – und mich und Oliver gleich mit. Als ich hinauskam, versuchte er gerade, ihre Arme von seinem Hals zu lösen. »Aber du liebst mich doch! Du musst mich doch lieben!«, schluchzte sie und wollte ihn nicht loslassen.
»Laura!«, herrschte ich sie an. Da endlich ließ sie ihn los und fuhr wütend zu mir herum.
»Geh ins Bett, Laura«, beschwor ich sie. »Und hör auf, hier eine Szene zu machen!«
Oliver wandte sich ab, als wolle er einfach gehen, doch ich hielt ihn zurück. »Wir müssen reden.« Er sah nicht gerade begeistert aus, folgte mir aber zurück in unser Quartier, wo langsam wieder Ruhe einkehrte. Im Flüsterton begann ich mich für Lauras Verhalten zu entschuldigen.
»Sonst ist sie nicht so, ich weiß auch nicht, was mit ihr los ist … Vielleicht ist es die fremde Umgebung, vielleicht ist die Arbeit wirklich zu anstrengend für sie.« Ich bat ihn, etwas mehr Geduld mit ihr zu haben. Mir sei klar, dass er nicht länger mit ihr zusammen sein wolle, aber vielleicht könne er ihr einfach etwas mehr Aufmerksamkeit widmen, damit sie sich nicht so völlig alleingelassen fühle. Er vermied es mich anzusehen und fummelte die ganze Zeit an seinem Uhrenarmband herum. Mir sollte es recht sein.
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