Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Umgebung, aber einen Freund wollte ich nicht. Dennoch, ich war begehrt bei den Jungs und flirtete durchaus, küsste sehr gern und war vermutlich ganz schrecklich kokett, nur verliebt war ich nie. Ich kann es selbst nicht verstehen, wo doch alle meine Freundinnen sich vor ihrer Heirat – und manche auch noch danach – unzählige Male verliebt hatten. Insgeheim fragte ich mich immer: Würde Papa diesen Jungen in seinem Haus dulden? Sähe Papa es gern, wenn ich jenen Jungen heiratete? Könnte Papa sich mit diesem hier anfreunden? In meiner Vorstellung fiel die Antwort immer negativ aus. Ich glaube, meine Freundinnen bedauerten mich, als ich eine Hochzeit nach der anderen besuchte. Sie versicherten mir, dass ich gewiss als Nächste an der Reihe wäre, und machten mich mit Brüdern, Freunden und Cousins bekannt. Aber ich blieb lieber allein.
Im Laufe eines Jahrzehnts fand der Weinberg zurück zu alter Blüte. Da mein Vater in der ganzen Gegend als Held galt, mangelte es uns nicht an Unterstützung. Unsere Nachbarn dürften sich zudem schuldig gefühlt haben, während jener schrecklichen Jahre untätig gewesen zu sein, doch ihre Furcht war verständlich, und niemand machte ihnen einen Vorwurf daraus. Selbst ehemalige Kollaborateure wollten uns unbedingt helfen, und Papa nahm ihre Unterstützung bereitwillig an – wohlwissend, dass im Grunde er ihnen einen Gefallen tat. Wir machten Pläne, dem Haus wieder zu seiner alten Pracht zu verhelfen, doch es war mühselig und ging nur langsam voran. Eine Mühe, die sich später als vergebens erweisen sollte.
Ich war zweiunddreißig, als meine geliebte Tante Cécile friedlich im Schlaf verstarb. Wieder einmal blieb Papa in tiefer Trauer zurück. Auch ich spürte den Verlust schmerzlich, nicht so sehr indes wie mein Vater. Ob sie nun ein Verhältnis gehabt hatten oder nicht, sie waren einander auf jeden Fall sehr nah gewesen. Auch wenn ich, so fürchtete ich bisweilen, für die wenigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen sorgte. Cécile meinte, mein Vater hätte damals darauf bestehen sollen, dass ich zur Universität ginge. Sie war der Ansicht, dass ich hier in der Provinz niemals einen passenden Mann finden würde. Nach ihrem Tod begann Papa zu fürchten, sie könne recht gehabt haben. Es bereitete ihm große Sorgen, dass ich keine Kinder hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits ein erfreuliches Maß an Erfahrung und meine Unschuld schon längst an Pierre verloren, den Neffen des Metzgers. Pierre hatte einen ganzen Winter bei seinem Onkel in Clochamps verbracht und mich vor seiner Abreise gefragt, ob ich ihn heiraten wolle. Es war eine kurze, schöne Affäre gewesen, doch ich sah keine Zukunft darin, und Pierre verließ Clochamps mit gebrochenem Herzen. Papa hatte mich fast angefleht, ihn zu heiraten – oder überhaupt zu heiraten – , doch den Gefallen tat ich ihm nicht. Ich wolle keinen Mann und werde niemals heiraten, beharrte ich auf meinem Standpunkt. Was war ich überrascht, als Papa seine Erwartungen herunterschraubte und meinte, dann solle ich mir wenigstens einen Liebhaber nehmen. Nicht die Vorstellung als solche fand ich schockierend, hatte ich das doch längst getan, sondern die Tatsache, dass der Vorschlag von meinem Vater kam.
»Aber du brauchst doch ein Kind«, sagte er eindringlich. »Wenn ich einmal nicht mehr bin, wirst du niemanden haben! Ich werde langsam alt und müde, und es ist gut, dass du hier bist und dich um mich kümmerst. Aber wer wird sich um dich kümmern, wenn du einmal alt bist? Niemand! Und wer soll dann das Château übernehmen?«
Ich verstand durchaus, was er meinte. Aber wenn ich mir im Dorf die möglichen Kandidaten anschaute, fand ich keinen einzigen, den ich mir als Vater meines Kindes wünschte. Außer Pierre, doch der hatte mittlerweile geheiratet und war nach Limoges gezogen.
Sechs Jahre war meine Affäre mit Pierre nun her. Er wäre ein geeigneter Ehemann gewesen, stattlich und gut aussehend, zudem an Büchern und Kartographie interessiert. Papa und er hätten sich bestimmt hervorragend verstanden. Allmählich bereute ich, seinen Antrag nicht angenommen zu haben, zumal es ihm wohl durchaus ernst mit mir gewesen war.
Einmal im Jahr kam Pierre seinen Onkel noch immer besuchen; mir blieb somit nur noch, den richtigen Zeitpunkt abzupassen. Ich weiß, es war verwerflich, Pierre so zu benutzen. Vielleicht hätte ich ihm einfach die Wahrheit sagen sollen und wäre zum selben Ergebnis gelangt. Aber ich hatte Angst, er würde sich aus
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