Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
mich noch genau, wie er sich schwor, die Bibliothek als ersten Raum wieder nutzbar zu machen.
Weil der Weinberg die letzten Jahre brach gelegen hatte und die Nerven meines Vaters zu zerrüttet waren, um sich den Geschäften zu widmen, hatten wir kein Einkommen. Alles, was uns blieb, war Papas restliches Erbe. Um Kosten zu sparen, wurde einer der beiden Seitenflügel geschlossen, und wir beschränkten uns auf einige wenige Zimmer. Mit meiner privilegierten Kindheit war es vorbei, doch ich vermisste sie nicht. Ich war noch zu jung, um mir unseres Wohlstands oder dessen Verlustes bewusst zu sein. Tatsächlich freute ich mich, nun die Schule im Ort besuchen zu können, so wie alle anderen auch. Mein Vater versuchte derweil in stiller Verzweiflung, seine verkümmerten Reben zu retten. Und er bat Tante Cécile, bei uns einzuziehen, weil er der Ansicht war, ich solle eine Mutterfigur in meinem Leben haben. Tante Cécile war die ältere Schwester meiner Mutter; sie hatte nie geheiratet. Die wenigen Fotografien, die von meiner Mutter geblieben sind, zeigen eine gewisse Ähnlichkeit der beiden, wenngleich meine Mutter sehr schön war und Cécile eher nicht. Meine Tante wusste mit einem Kind wenig anzufangen, und die nichtigsten Anlässe boten uns Gelegenheit zu erbitterten Machtkämpfen. Irgendwann wurde mein Vater es leid, zwischen uns den Vermittler zu spielen, und schließlich sah auch ich ein, dass ich Tante Cécile zumindest eine Chance geben könnte. Immerhin mochte Papa sie und hatte mich ihrer Obhut anvertraut. Erst jetzt kommt mir der Gedanke, dass die beiden vielleicht ein Verhältnis miteinander hatten. Ich meine mich an Begebenheiten zu erinnern, da ich sie beide in sichtlicher Verlegenheit zusammen antraf, doch egal. Sie war eine gute Frau, die uns in schwieriger Zeit beigestanden hat. Ich hätte das Opfer, das sie meinetwegen erbracht hat, mehr würdigen sollen.
Tante Cécile war es auch, die mich darüber aufklärte, was es hieß, eine Frau zu sein, und die mir Monatsbinden gab, als ich das erste Mal meine Regel bekam. Da erschien sie mir wie ein Geschenk des Himmels, denn mein Vater konnte in vielerlei Hinsicht sehr altmodisch sein. Ein solches Gespräch hätte er garantiert niemals durchgestanden. Später jedoch sollte er sich in anderen Dingen als erstaunlich fortschrittlich und aufgeschlossen zeigen.
Ich war eine ausgesprochen durchschnittliche Schülerin, schaffte aber dennoch ein respektables Abitur. Papa fand es an der Zeit, dass ich nach Bordeaux ginge, um zu studieren, oder besser noch gleich nach Paris. Aber große Städte reizten mich wenig, und ein Leben ohne meine Freundinnen, ohne Papa und Cécile konnte ich mir kaum vorstellen. Keines der Mädchen aus dem Dorf würde an die Universität gehen, und ich sah mich als eine von ihnen. Vielleicht wollte ich mich auch deshalb möglichst wenig von ihnen unterscheiden, weil ich wusste, dass die meisten ihren Lebensunterhalt dereinst auf unseren Gütern verdienen würden. Es waren gute, ehrliche Menschen, die ihr Leben lang hart arbeiten mussten. Außerdem konnten wir uns drei Jahre an der Sorbonne sowieso nicht leisten, und alles, was ich je im Leben brauchen würde, konnte ich ebensogut in Clochamps lernen. Ich hatte nicht den Ehrgeiz, Ärztin oder Anwältin zu werden, wie mein Vater es mir vorgeschlagen hatte. Allerdings graute mir davor, ihm das zu sagen. Als ich es ihm schließlich doch sagte, spürte ich, wie erleichtert er war. Mein Vater und ich sind uns all die Jahre sehr nah gestanden, und mit seinem zunehmenden Alter und seiner schwindenden Gesundheit wurde ich ihm immer mehr zur unverzichtbaren Stütze.
Es fand sich für mich eine Halbtagsstelle als Sekretärin des Bürgermeisters – eher eine Gefälligkeit denn richtige Arbeit. Die größte Herausforderung meines Jobs bestand darin, zehn Jahre lang sämtliche Annäherungsversuche abzuwehren, meist indem ich den Bürgermeister recht vernehmlich an seine Frau und seine Kinder erinnerte. Oder daran, dass er schlichtweg zu alt war.
Nicht ein Wort habe ich davon zu meinem Vater gesagt. Er wäre nur schockiert gewesen. Außerdem war ich jetzt erwachsen und selbstbewusst genug, es mit diesem alten Strolch aufzunehmen.
Nachmittags kehrte ich zurück zu meinem Vater und Cécile und half bei der Bewirtschaftung der Ländereien oder im Haus, das wir mühsam wieder herzurichten begonnen hatten.
Ich verstand mich gut mit den jungen Leuten aus dem Dorf und besuchte sämtliche Feste der näheren
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