Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Nachdem ich kürzlich erst meine eigenen Gefühle für ihn bekundet hatte, war es mir hochgradig unangenehm, hier den Vermittler zu spielen.
Dann bemerkte ich auf einmal einen seltsam beißenden Geruch in der Luft. Im ersten Moment konnte ich ihn nicht benennen, doch mein Instinkt trieb mich hinaus. Leise schlich ich an den anderen vorbei, um sie nicht erneut zu wecken. Oliver folgte mir. Die Luft war warm und lau, doch der Geruch wurde immer stärker. Erst dachte ich, dass noch irgendjemand auf sei und dieses süße Kraut rauche, dann zeigte Oliver zum Haus. Es war eine ungewöhnlich dunkle Nacht. Vor dem mondlosen Himmel waren die Umrisse des Schlosses kaum zu erkennen. Plötzlich hörte ich ein lautes Prasseln zu uns herüberwehen, und ehe ich es mich versah, rannte ich auch schon die Stufen der Terrasse hinauf. Oben angelangt sah ich das Erdgeschoss des Ostflügels in Flammen stehen. Wo Oliver abgeblieben war, wusste ich nicht. Vermutlich die anderen wecken.
Wenn ich nur rascher reagiert hätte, wenn ich schneller und an jenem Tag nicht so hundemüde gewesen wäre, wenn ich gewusst oder auch nur geahnt hätte, wenn ich … Man könnte wahnsinnig werden bei dem Gedanken an all das, was gewesen wäre, wenn. Ich fing an »Feuer!« zu schreien, doch meine Stimme verhallte kläglich in der Nacht; das alte Gemäuer schluckte jeden Laut.
Zum Küchendienst hatte auch gehört, die Turmglocke der alten Kapelle zu läuten, um die anderen zum Essen zu rufen. Durch den Rauch sah ich, dass diese Seite des Anwesens bislang von den Flammen verschont geblieben war. Während ich weiter nach Hilfe schrie, rannte ich los, stieß die schwere Holztür auf und hängte mich mit aller Kraft ins Seil, bis die Glocke mit einem lauten Scheppern anzuschlagen begann. Das Feuer selbst machte nun unglaublichen Krach, es toste, prasselte, schrie. Die unteren Räume standen lichterloh in Flammen, und ich wusste nicht, ob sich darüber Schlafzimmer befanden. Hoffentlich nicht! Vereinzelt tauchten Leute aus dem Rauch auf, überall herrschte Chaos, Panik und Entsetzen. Ich suchte nach Laura und fand sie, in Tränen aufgelöst, wie sie sich an Oliver klammerte. Oliver war aschfahl im Gesicht. Hastig kommandierte ich ein paar Jungs dazu ab, die Bewässerungsschläuche von den Feldern heraufzuholen, aber es dauerte ewig, und als wir die Schläuche dann ausrollten, wurde schnell klar, dass sie nicht lang genug waren, um damit das Feuer zu erreichen. Einige der Männer versuchten unter massivem Körpereinsatz den schweren Steindeckel von dem längst nicht mehr genutzten Brunnen am Fuß der Terrasse zu hieven. Andere brachten einen recht vorsintflutlich anmutenden Gartenschlauch aus den Tiefen des Kellergewölbes zum Vorschein. Der Rest des Teams stand einfach nur da und schien wie gelähmt vor Entsetzen. Plötzlich tauchte aus den Flammen eine gebeugte Gestalt auf, fast nicht mehr als Mensch zu erkennen, doch über das Lärmen des Feuers und unsere kreuz und quer gebrüllten Zurufe hinweg hörte ich den Schrei einer Frau. Nicht den schrillen, gellenden Schrei, mit dem einem tragische Filmheldinnen das Trommelfell zerspringen lassen. Es war vielmehr ein unbeschreiblicher, kaum noch menschlicher Laut abgrundtiefer Verzweiflung. Etwas so Grauenvolles hatte ich nie zuvor gehört und hoffe, es auch nie wieder hören zu müssen. Madame schrie sich ihren Verlust, ihren Kummer, ihre Qual aus der Seele. Ihr ganzer Körper und alles, was sie zuvor am Leib gehabt haben mochte, war rußgeschwärzt, versengte Haarbüschel schwelten auf ihrem Kopf. Ich packte sie und hielt sie fest, als sie versuchte, sich zurück in das Inferno zu stürzen. Ihre heiseren Schreie klingen mir noch immer im Ohr. »Papa! Jean Luc!«, schrie sie, bis sie nicht mehr schreien konnte.
Der gesamte Ostflügel stand in Flammen, die sich durch das alte Mauerwerk fraßen, mit gierigen Zungen Decken und Gebälk verschlangen. Später sollte ich erfahren, dass der kleine Jean Luc oft bei seinem Großvater im Zimmer schlief, das sich im Obergeschoss dieses Flügels befand. Es dauerte eine Stunde, bis die Feuerwehr aus dem Ort heraufkam, doch was bedeutet Zeit schon dem grausamsten aller Elemente? Feuer und Wind scheren sich nicht um das Vergehen der Zeit, die ohnehin nur ein von Menschen gemachtes Konstrukt ist. Der Löschtrupp drängte uns zurück und nahm die Sache in die Hand. Im Gegensatz zu uns waren sie gut organisiert und wussten, was zu tun war. Ich muss gestehen, dass das Eintreffen der
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