Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
York gewesen. Das habe ich ihm aber schnell ausgeredet. Wozu denn, habe ich gesagt, ich wäre viel zu beschäftigt und würde überhaupt keine Zeit für ihn haben. Die ersten beiden Wochen wären nur Proben, dann Previews und Pressevorführung, danach hätte ich jeweils acht Auftritte pro Woche. Alice würde ja auch nicht kommen. Sie hat Oliver nie auf Lesereisen oder dergleichen begleitet. Ein richtiges Heimchen am Herd eben.
Obwohl wir in Dublin und London begeisterte Kritiken bekommen hatten, wollten die Produzenten vom Broadway ein paar Änderungen am Stück vornehmen. Erhebliche Änderungen, wie sich zeigen sollte. Nur fünf von uns aus dem irischen Ensemble haben die ursprünglichen Rollen behalten, der Chor wurde gleich ganz mit Amerikanern besetzt. Auch sollten wir mit einem amerikanischen Regisseur zusammenarbeiten, Tug Blomenfeld. Aisling, unsere irische Regisseurin, schäumte natürlich vor Wut. Leider hatte sie in der Sache aber wenig bis gar nichts zu sagen und musste sich mit einem Platz in zweiter Reihe begnügen, während Tug ganze Szenen neu besetzte und praktisch das ganze Stück umbaute, um seine horrend hohe Gage irgendwie zu rechtfertigen. Tug und ich konnten von Anfang an nicht miteinander. Bei unserer ersten Begegnung hatte ich ihn für den Garderobenassistenten gehalten und ihm meine Strumpfhose in die Hand gedrückt, damit er sie in die Wäsche schmeißt. Jeder normale Mensch hätte darüber gelacht, und die Sache wäre vergessen gewesen; Tug hat es persönlich genommen. Von da an ging es nur noch bergab. Er hat mir meinen halben Text zusammengestrichen und mich auf der Bühne hinter riesigen Requisiten platziert, damit das Publikum mich auch ja nicht zu sehen bekäme. Er wollte, dass ich das Finale in einer anderen Tonart singe, die meiner Stimmlage überhaupt nicht entsprach. Vor dem ganzen Ensemble hat er mich zusammengefaltet – ich solle »nicht so verdammt dick auftragen«. Scheißkerl.
Wahrscheinlich wussten alle, dass ich was mit Oliver hatte. Natürlich hat mir das niemand ins Gesicht gesagt, aber wenn wir zusammen bei den Proben auftauchten, fiel schon mal die eine oder andere Bemerkung. Wahlweise, oder es herrschte auch vielsagendes Schweigen. Ich beschwerte mich bei Oliver über Tugs Bearbeitungen, aber er meinte, darauf habe er keinen Einfluss und könne es nicht ändern.
Die Proben waren zeit- und kraftraubend, aber ab und an konnten wir doch ein paar freie Stunden für uns abzweigen. Es waren herrliche Nachmittage, und wir hatten unseren Spaß dabei, lauter typische Touristensachen zu machen: Empire State Building, Kutschfahrt im Central Park, das Guggenheim, die Met, Rockefeller Plaza, die Frick Collection, Fifth Avenue. Einmal waren wir abends im Sardi’s. Oliver, ganz Mann von Welt, wusste natürlich, wie man einen guten Tisch bekommt. Ich war schwer beeindruckt. Und was soll ich sagen, am Tisch hinter uns saß Al Pacino! Ich wollte gleich hingehen und mich vorstellen, aber Oliver meinte, das sollte ich mal schön lassen, das würde keinen guten Eindruck machen. Immerhin hat er mit mir den Platz getauscht, damit ich mit dem Gesicht zu Al sitzen konnte. Den ganzen Abend habe ich versucht seinen Blick aufzufangen, aber vergebens. Ein paar Mal bin ich auch zur Toilette, damit ich direkt an ihm vorbeigehen konnte, aber Al schien mich nicht zu erkennen, obwohl mein Gesicht doch keine zwei Blocks weiter lebensgroß von den Plakaten strahlte! Sehr enttäuschend. Oliver schien das alles köstlich zu amüsieren. Als wir das Restaurant verließen, steckte der Kellner mir eine Nachricht zu. Ich öffnete sie und las: »Schön, dich hier zu sehen, Kleines. Viel Glück mit der Show, Al.« Mein Gott, ich wär fast gestorben vor Glück! Und wollte gleich wieder reinrennen und mich bei Mr Pacino bedanken, aber Oliver hielt das für keine gute Idee. Irgendwann später hat er mir gestanden, den Kellner bestochen zu haben, damit er mir die Nachricht schreibt. Am Anfang war ich enttäuscht und kam mir ziemlich blöd vor, aber dann dachte ich mir, was für eine nette Geste! Aber so ist Oliver eben – dachte ich – , charmant und aufmerksam.
Auf jeden Fall wurde einem mit Oliver nie langweilig. Er ist unglaublich belesen und hat zu jedem Thema etwas zu sagen. Museumsbesuche können ja bekanntlich recht öde sein, aber nicht mit Oliver. Er liefert einem gleich noch die Lebensgeschichte der Künstler mit oder einen kurzen Abriss über die Entstehungszeit des Werks. Außerdem hat er einen
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