Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
dass mein Schreibtisch nun vom Fenster abgewandt stand. Moya hat es sehr persönlich genommen. Aber ich musste auch an Alice denken und wollte die Gefühle meiner Frau nicht unnötig verletzen.
Ganz am Anfang benutzte ich eine Schreibmaschine, aber weil Alice sich wiederholt wunderte, wie wenig »Getippe« sie aus meinem Zimmer höre, stieg ich so bald wie möglich auf Computer um. Ich gehörte zu den Ersten, die einen dieser hypermodernen Hochleistungsrechner besaßen, auf dem sich in aller Stille arbeiten ließ. Heutzutage bietet das Internet natürlich eine Vielzahl an Zerstreuungen. Man könnte ganze Tage damit zubringen, sich Absonderlichkeiten wie viktorianische Pornografie anzusehen, jetzt nur so als Beispiel, oder Titanbohrer, wenn einem danach der Sinn steht. Nicht zu vergessen soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und wie sie alle heißen. Anderen Autoren muss das wie ein zeitfressender Fluch erscheinen, mir aber kamen sie schon immer sehr zupass, wenn ich mal wieder schier endlose Zeit totzuschlagen hatte.
Doch als ich damals die Serie um den Prinzen von Solarand erschuf, gab es das Internet in dieser Form noch nicht, weshalb sich mir weit weniger Ablenkungen boten, mit denen ich meinen Tag hätte füllen können.
In der Regel zog ich mich um 9.30, nach dem Frühstück, in mein Arbeitszimmer zurück und schloss die Tür hinter mir. Ruhe, Frieden, Einsamkeit. Ich nahm mir die Irish Times vor und löste zuerst das Kreuzworträtsel, danach das Silbenrätsel. Dann las ich Zeitung. Ich las die Irish Times von vorne bis hinten, ebenso den Guardian und den Telegraph . Ich war politisch immer auf dem Laufenden, verfolgte das Treiben im linken Lager ebenso wie im rechten, was mir einen recht ausgewogenen Blick auf das Zeitgeschehen gab und sich in Interviews und Kommentaren durchaus bezahlt machte. (Leider muss ich gestehen, dass ich die Finanzkrise trotz allem nicht hatte kommen sehen. Wir haben mindestens hunderttausend Euro in schlechten Investments verloren – und den Anlageberater zum Teufel gejagt – , der Wert der bulgarischen Immobilien dürfte gen Null tendieren, aber letztlich habe ich noch vergleichsweise wenig riskiert.)
Um Punkt 11.00 tauchte ich wieder auf, gönnte mir eine Teepause und hörte mir eine halbe Stunde im Radio die Nachrichten des Tages an. Dann kehrte ich zurück in mein Arbeitszimmer und widmete mich der Korrespondenz. Meist Anfragen für Interviews und Lesungen, Einladungen zu Literaturfestivals und immer wieder Doktoranden, die über mein Werk promovieren.
Sehr geehrter Mr Dax,
ich habe in Ihren Büchern zahlreiche allegorische Bezüge gefunden, die den Schluss nahelegen, dass Sie Figuren und Handlung Ihrer Kinderbücher in bewusster Anlehnung an die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten vor und während des zweiten Weltkriegs konzipiert haben. Es würde mich freuen, wenn ich Ihnen diesbezüglich einige Fragen …
Ich und meine gesammelten Werke sind Gegenstand von bislang achtzehn wissenschaftlichen Arbeiten weltweit. Darüber hinaus existieren diverse Veröffentlichungen, die sich der Deutung und Dekonstruktion meiner Geschichten verschrieben haben. So wenig hilfreich ich diesen Anfragen auch entgegenkomme, lässt sich doch kaum jemand entmutigen, alle möglichen versteckten Symbole und Bezüge in mein Werk hineinzulesen.
Alice hat mir damals geraten, eine Sekretärin einzustellen. »Du hast doch gar keine Zeit, dich um all das zu kümmern!« Wenn sie gewusst hätte.
Nach dem Mittagessen las ich ein, zwei Stunden, meistens Klassiker, wenngleich zunehmend auch das Alte Testament mein Interesse weckte. Mittlerweile hatte ich eine sehr umfangreiche Bibliothek. Einmal hörte ich, wie Alice zu Moya meinte: »Ich weiß gar nicht, wann er die Zeit findet, all die Bücher zu lesen!« Ja, wann nur?
Einmal war ich so schrecklich gelangweilt, dass ich einige Fitnessgeräte in meinem Arbeitszimmer aufstellen ließ, um bei alledem wenigstens in Form zu bleiben.
»Gut so«, fand Alice, »du musst dich ja auch mal von der Arbeit erholen!«
Um 16.00 fing ich dann mit der eigentlichen Arbeit an, Wort für Wort; unter Zuhilfenahme verschiedener Wörterbücher und Thesauren entwarf ich Sätze und Formulierungen, schrieb alles so lange um, bis es genau meinen Vorstellungen entsprach. Ich erlaubte mir täglich nur eine Stunde dieser Arbeit; sie musste schließlich eine Weile vorhalten.
»Du musst völlig fertig sein!«, meinte Alice oft, wenn ich des Abends aus meiner
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