Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Litern Paraffinöl geordert, um die Lampen unten im Keller zu betreiben. Schließlich sollten die jüdischen Familien, die bei uns untergekommen waren, nicht den ganzen Tag im Dunkeln zubringen müssen. Ein Freund, der in der Résistance war und gute Kontakte nach Paris hatte, ließ uns die Fässer bei Nacht anliefern. Ich wusste, dass Papa dafür den Schmuck meiner Mutter verkauft hatte; Gold war damals die einzig gültige Währung. Als die Deutschen 1944 unser Haus besetzten, dachten sie erst, es sei Benzin, und versuchten ihre Jeeps damit zu betanken. Grausame Ironie des Schicksals, dass sie das Haus geplündert und alles mitgenommen haben, aber ausgerechnet das Paraffin zurückließen. Fast vergessen lagerte es in dem an Bibliothek und Arbeitszimmer grenzenden Anbau des Ostflügels. Papas Schlafzimmer befand sich direkt über der Bibliothek. 1973 hatten wir längst im ganzen Haus Stromleitungen verlegen lassen, und mehr als einmal war mir der Gedanke gekommen, das Paraffin endlich zu entsorgen. Doch mein Vater, der zwei Kriege durchgestanden hatte und sich der Rationierungen noch sehr genau erinnerte, war dagegen. Es würde nicht umkommen, meinte er. Außerdem könne man ja nie wissen, ob nicht mal der Strom ausfallen würde. Wie so viele seiner Generation hat er dieser Neuerung nie gänzlich getraut. Und so beließen wir es dort, wo es war. In jenem Jahr hatten wir einen ganz außergewöhnlich heißen und trockenen Sommer. Der 9. September 1973 war der vierundachtzigste Tag in Folge ohne einen einzigen Tropfen Niederschlag, und die Temperaturen lagen weit über dem saisonalen Durchschnitt.
Mein Sohn schlief nur selten in seinem eigenen Zimmer. Papa und ich hatten an den Fußenden unserer Betten je ein schmales Kinderbett stehen, wie es zu jener Zeit durchaus üblich war in französischen Familien. Jean Luc schlief abwechselnd mal bei mir, mal bei seinem Papi. Wenn mein Vater ihm eine ganz besonders aufregende Gutenachtgeschichte erzählt hatte, graulte der Kleine sich davor, vom Ostflügel hinüber zu meinem Zimmer in den Westflügel zu laufen, und Papa blieb bei ihm, bis er eingeschlafen war.
Ich weiß nicht, was das Feuer verursacht hat. Vielleicht die Pfeife meines Vaters, eine Zigarette, ein Funke aus dem Kohlenofen, wir werden es nie wissen. Insgesamt erinnere ich mich nur noch sehr ungenau an jene Nacht. Ein Geräusch hatte mich geweckt, ein Tosen, als würde ein Sturm durch das Schloss wüten, dann habe ich auf einmal Schreie gehört. Ein Traum, habe ich gedacht, und selbst als ich aufgestanden und ans Fenster getreten war, als ich den Ostflügel lichterloh brennen sah, schien alles so unwirklich, so völlig unerwartet, dass ich die Dringlichkeit der Situation kaum begreifen konnte. Erst als ich in meinem Nachthemd hinaus auf den Korridor lief und ihn von Rauch erfüllt fand, ahnte ich das wahre Ausmaß des Schreckens. Völlig verwirrt geisterte ich umher und kannte mich kaum mehr in meinem eigenen Haus aus. Aufs Geratewohl lief ich los, über die obere Galerie in die ungefähre Richtung des Ostflügels, doch Rauch und sengende Hitze schlugen mir entgegen, drängten mich zurück, und ich begann laut zu schreien. Ich schrie nach meinem Vater, meinem geliebten Vater, und nach meinem Sohn, doch als Antwort kam nur ein Prasseln und Brausen, ein Bersten und Brechen von Holz. Ich schrie und schluchzte und kämpfte mir meinen Weg durch die Flammen, doch der Boden glühte unter meinen Füßen, und der unverkennbare Geruch versengten Haars stieg mir in die Nase. Irgendwie gelangte ich bis zur Treppe, doch sie brannte lichterloh, und ich wusste, weiter würde ich nicht kommen. Ich weiß nicht, wie ich mir meine Hände so fürchterlich verbrannt habe. Damals spürte ich nicht einmal den Schmerz. Keine Ahnung, wie ich hinaus auf den Hof gelangt bin, ich muss den ganzen Weg zurückgelaufen sein, aber ich weiß es nicht. Ich erinnere mich erst wieder daran, wie Michael mich festgehalten hat, wie ich nach ihm getreten und ihn gebissen habe, mich von ihm losreißen wollte, um die einzigen beiden Menschen zu retten, die ich liebte auf dieser Welt. Was ich damals nicht wusste und erst einige Zeit später erfahren sollte, war, dass Jean Luc und Papa an einer Rauchvergiftung gestorben waren, vermutlich im Schlaf. Es ist mir ein gewisser Trost, nach all den Monaten, Jahren, in denen das Grauen mich verfolgt und ich mich immerzu gefragt habe, ob sie den Tod des anderen mitansehen mussten, ob sie nach mir gerufen haben, ob
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