Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
als sei ich eine jener ihm unbekannten Zutaten, bei denen er nicht wusste, ob er sie schälen, kochen oder aussäen sollte.
Eines Tages strich er mir das Haar aus der Stirn. Obwohl es eine völlig unbeholfene Geste war, war ich doch irritiert, bis mir der Gedanke kam, dass er vielleicht Friseur werden wolle. Also ließ ich ihn ein wenig mit meinen Haaren spielen. Wie typisch, dachte ich noch, ein schwuler Friseur.
Sein Französisch war immer noch recht stockend, doch als ich ihn auf seine Sexualität ansprach, verstand er mich auch so. Er brach zusammen und hörte gar nicht mehr auf zu weinen. Erst jetzt wird mir bewusst, dass dies vermutlich sein »Coming-out« war, wie es nun heißt, und meine Worte all den Schuldgefühlen, all der Verdrängung und Identitätssuche Bahn gebrochen hatten. Ich fand mich darin bestätigt, dass er in seinen Freund Oliver verliebt war, der aber mit Michaels Schwester zusammen war. Ah, welch ein Desaster! Ich versprach ihm, niemandem davon zu erzählen. Außerdem sorgte ich dafür, dass er Maurice kennenlernte, einen Nachbarn, der aus seiner Sexualität schon damals keinen Hehl machte und zudem ein wenig Englisch sprach. Meine Hoffnung war, dass Maurice ihm ein paar Ratschläge geben könne, weswegen ich auch recht verärgert war, dass er Michael gleich mit in einen schwulen Nachtclub nahm. Das hätte nun auch nicht sein müssen, fand ich, die Dinge gleich so zu überstürzen. Aber gut, was ging es mich an. Schließlich waren sie erwachsen.
Oliver und Michael kannte ich somit recht gut. Laura stand zwischen ihnen, verband sie zugleich und sollte sich bald auch in meinem Leben bemerkbar machen. Im Grunde war sie ein ganz reizendes Mädchen, wenn wohl auch ein wenig verwöhnt. Sie wollte sich nicht damit abfinden, dass sie mit den anderen auf der Obstplantage arbeiten musste, während Oliver und Michael den ganzen Tag im Haus verbrachten und sie die beiden erst abends wiedersah. Als sie eines Tages zusammenbrach und zum Haus hinaufgetragen wurde, war ich daher auch etwas argwöhnisch, gelinde gesagt. Ich fragte mich, ob dies nicht nur ein Trick war, das Gewünschte zu erreichen und gehörig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Doch sie sah wirklich schrecklich blass und elend aus. Mein Argwohn war begründet, wie sich zeigen sollte, doch war der Grund ein anderer als gedacht. Wieder wurde der Arzt gerufen; er untersuchte Laura, und als er aus ihrem Zimmer kam, sagte er mir, dass sie schwanger sei. Ich muss gestehen, dass ich anfangs recht ungehalten war. Wir hatten noch nie zuvor mit Erntehelfern aus dem Ausland gearbeitet, und erst gab es diesen unsäglichen Ärger mit den Südafrikanern und nun das. Ich war es, die letztlich die Verantwortung für unsere Arbeitskräfte trug, und Lauras leichtfertiges Verhalten würde nur Scherereien bringen. Es hat schon immer Mittel und Wege gegeben, nicht schwanger zu werden, auch damals, und nein, ich rede nicht von Enthaltsamkeit. Ich ging zu Laura, um mit ihr zu reden. Sie war in Tränen aufgelöst und hatte Angst, hinausgeworfen zu werden. Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte. Sie bat mich, es Oliver nicht zu sagen, fürchtete sie doch, dies könne das Ende ihrer Beziehung bedeuten. Allerdings hatte ich ohnehin den Eindruck, dass diese Beziehung so gut wie vorbei war. Oliver war jetzt in meine Familie verliebt. Ich wusste nicht, welchen Rat ich Laura geben sollte, und so riet ich ihr nichts. Sie kam aus einer streng katholischen Familie. Papa hielt wenig von Religion und hatte mich ganz in seinem Sinne erzogen, weshalb ich auch wenig anfangen konnte mit all den Schuldgefühlen, die für viele Katholiken Teil ihres Glaubens zu sein scheinen. Die Möglichkeiten, die einer ungläubigen Französin offen gestanden hätten, wären für einen irischen Teenager undenkbar gewesen. Laura war gerade einmal neunzehn, aber sie würde ihre eigenen Entscheidungen treffen müssen. Ihr Bruder machte sich Sorgen um sie. Auch ihm sagte sie nicht die Wahrheit und erzählte ihm, sie habe sich eine Magengrippe zugezogen. Ein paar Tage ließ ich sie auf dem Schloss bleiben, dann schickte ich sie zurück an die Arbeit. Ich überließ es ihr, wie sie sich entscheiden wollte. Ein bisschen tat sie mir leid, aber es sollte nicht meine Sorge sein. Sie musste selber wissen, was sie tat. Ein paar Wochen später war alles vergessen, es kümmerte mich nicht mehr. Weder sie noch sonst irgendetwas.
Während des Kriegs hatte mein Vater einen Vorrat von mehreren Hundert
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