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Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Titel: Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Nugent
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ihrem letzten Gespräch. So ruhig, dass Mum schon gehofft hatte, sie sei langsam auf dem Weg der Besserung. Sie hatten darüber gesprochen, am Wochenende in die Stadt zu fahren und nach Winterstiefeln zu schauen. Mum hatte ein sehr schönes Paar gesehen, von dem sie meinte, es könne Laura gefallen; sie schlug vor, am Samstag zusammen loszuziehen. Angeblich wollte Laura auch die Woche darauf ans College zurückkehren, sie freue sich darauf, endlich wieder in den alten Trott zu kommen; das Jahr in Frankreich sei doch ziemlich anstrengend gewesen, räumte sie ein, und vielleicht hätte sie lieber gleich mit mir nach Hause fahren sollen. Mum versicherte ihr, dass jeder dafür Verständnis gehabt hätte und dass Laura sich nur wieder etwas einleben musste, dann würde alles andere sich finden. Wir baten Mum, ihre letzte Unterhaltung mit Laura noch einmal ganz genau wiederzugeben, konnten aber nichts daran entdecken, das Anlass zur Beunruhigung gegeben hätte. Später fanden wir dann in Lauras Schrank die Winterstiefel, die Mum so gut gefallen hatten. Nagelneu, noch im Karton, bezahlt am Mittwochnachmittag. Laura hatte sie in Mums Größe gekauft.
    Freitagmorgen fingen wir an, alle Krankenhäuser der näheren Umgebung abzutelefonieren. Wie oft es wohl vorkommt, dass jemand ohne Bewusstsein und ohne Ausweispapiere ins Krankenhaus eingeliefert wird? Vermutlich längst nicht so oft, wie man es sich bei der Suche nach einer vermissten Person erhofft. Freitagnachmittag erstatteten wir Anzeige, und die Polizei kam, um unsere Aussagen aufzunehmen. Sie wollten ein Foto von Laura in die Zeitung setzen. Das aktuellste Foto, das wir von ihr hatten, hatte ich in Frankreich mit meiner Agfa Instamatic aufgenommen. Wir waren alle ziemlich betrunken gewesen. Laura hatte den Kopf auf Olivers Schulter gelegt, Oliver saß mit nacktem Oberkörper da. Sie hatte die Augen geschlossen, ein Teil ihres Gesichts war nur verschwommen hinter den Weingläsern zu sehen, die im Vordergrund standen. Aber sie lächelte, als wisse sie ein Geheimnis, von dem sonst niemand wusste. Wir waren uns einig, dass es nicht zur Veröffentlichung geeignet war, und Dad fand schließlich ein Bild vom vorletzten Weihnachtsfest, auf dem sie glücklich aussah, aber ernst in die Kamera blickte. Meinen Eltern graute vor dem zu erwartenden Medienrummel. Sie legten großen Wert auf ihre Privatsphäre, und der Zusammenbruch meiner Schwester war nichts, was man gern in aller Öffentlichkeit ausgebreitet sah.
    Die Sonne ging auf und wieder unter, das Ticken der Standuhr hallte trostlos durch den Flur, von draußen hörte man Autos vorbeifahren und Kinder lachen, aber inmitten unserer Leben klaffte ein Loch, ein riesiges Fragezeichen, auf das es keine Antwort gab. Montag sollte Lauras Bild in den Zeitungen erscheinen und im Fernsehen gesendet werden. Am Sonntagnachmittag rief die Polizei an und bat meinen Vater, auf die Wache zu kommen. Es gab Neuigkeiten, aber Dad ließ Mum nicht mitkommen. Also warteten wir zu Hause und überlegten derweil, welche neuen Erkenntnisse es wohl gäbe. Wir wagten beide nicht auszusprechen, was wir längst wussten, als könnten die bloßen Worte es Wirklichkeit werden lassen.
    Relativ kurze Zeit später kehrte Dad zurück, in Begleitung von Mums Bruder – meinem Onkel Dan – und einem jungen Garda. Ich weiß nicht, warum der Polizist mitgekommen war. Vielleicht war es so Vorschrift. Vielleicht wollte man auch nur sichergehen, dass Dad gut nach Hause kam.
    Lauras Leiche war am Morgen am Strand von Tragumna in West Cork angespült worden. Ein Hundebesitzer (warum immer die armen Hundebesitzer?) hatte am Abend zuvor von den Klippen aus jemanden gesehen und die Polizei verständigt. Anscheinend war sie vollständig bekleidet ins Wasser gegangen. Nein, es könne sich unmöglich um Laura handeln, sagten wir. Weshalb dort? Aber natürlich wussten wir, dass es genau der Ort war, an den sie gegangen wäre. Es war der Strand, an dem wir als Kinder gespielt hatten, wenn wir zu Besuch bei meiner Großmutter in Skibbereen waren. Ihre Tasche fand man ganz in der Nähe. Keinen Abschiedsbrief, aber genügend Papiere, um ihre Identität festzustellen. Dad und Onkel Dan versicherten Mum und mir, dass wir sie nicht mehr zu identifizieren brauchten. Ich war dankbar darum – Gott möge mir verzeihen – , aber Mum wollte sie unbedingt sehen, und so verschwanden Mum und Dad durch die breiten Schwingtüren, während ich draußen mit Onkel Dan wartete. Ich hörte ihre

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