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Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)

Titel: Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liz Nugent
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während des Krieges litt mein Vater an einer Schüttellähmung der rechten Hand. Es wunderte mich daher nicht, dass er Oliver bat, ihm bei verschiedenen Schreibarbeiten behilflich zu sein. Oliver verstand sich zudem ausgesprochen gut mit Jean Luc, und bald schon waren die drei, allen Unterschieden in Alter, Lebenserfahrung und der Sprachbarriere zum Trotz, eine eingeschworene Gemeinschaft. Papa bat mich, Oliver statt auf dem Feld als seinen Assistenten zu beschäftigen, und da ich Papa noch nie etwas abschlagen konnte, gab ich seiner Bitte auch dieses Mal nach. Allerdings sah ich es mit einem leichten Befremden, wie nah die drei einander waren und wie bald schon sie unzertrennlich schienen. Es war, als hätten Papa und Jean Luc endlich den einen Menschen gefunden, nach dem sie immer gesucht hatten. Doch versuchte ich, mich zur Vernunft zu rufen. Es wäre ein Fehler, so sagte ich mir damals, meinem Sohn eine Vaterfigur zu verwehren, und auch Papa dürfte es freuen, endlich einen Mann im Haus zu haben. Obwohl ich also nicht ganz glücklich war mit dieser ungewöhnlichen Freundschaft, so duldete ich sie doch – Papa zuliebe. Ich konnte nicht wissen, was sie verband. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte Oliver ja selbst einen Vater; dass ich nun den meinen mit ihm teilen musste, erfüllte mich mit einer gewissen Eifersucht.
    Ich war nicht die Einzige, die dies alles mit Argwohn und Eifersucht betrachtete. Olivers Freundin war sehr ungehalten über seine Beförderung. Mehr noch vermutlich, da ihr Freund die Gesellschaft eines alten Mannes und eines kleinen Jungen der ihren vorzog. Mittlerweile hatte Oliver kaum noch etwas mit den anderen Arbeitern zu tun, sämtliche Mahlzeiten nahm er im Kreis der Familie ein. Dies geschah auf Papas ausdrücklichen Wunsch und gegen den meinen. Jean Luc liebte seinen neuen Freund abgöttisch. Oliver tobte mit ihm und spielte all die wilden Jungenspiele, für die Papa nun zu alt war. Wenn ich Jean Luc schließlich zu Bett brachte und er mir erzählte, was er den Tag über alles erlebt hatte, drehte sich immer alles um Oliver. Ich musste dann stets an Pierre denken. Was für ein wunderbarer Vater er gewesen wäre, hätte er seinen Sohn gekannt.
    Laura hatte einen Bruder namens Michael, ganz offensichtlich schwul und nicht mit dem guten Aussehen seiner Schwester gesegnet. Eines Morgens tauchte er unangemeldet in der Küche auf und bot mir seine Hilfe beim Brotbacken an. Es sollte ein glücklicher Zufall für alle Beteiligten sein – außer wohl für Anne-Marie, der das plötzliche Auftauchen dieses großen, bleichgesichtigen Iren einen solchen Schrecken einjagte, dass sie stürzte und sich den Arm brach. Anne-Marie war in der Küche mein Mädchen für alles, wenn man eine 77-Jährige denn als Mädchen bezeichnen mag. Schon vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte Anne-Marie in den Diensten unserer Familie gestanden. Den Sommer zuvor hatte ich sie gebeten, mir in der Küche zur Hand zu gehen, und wir kamen sehr gut miteinander aus. Sie erzählte mir viel von meiner Mutter, schwärmte von ihrer Schönheit und ihrer Güte. Dem Vorbild meiner Eltern gerecht zu werden, war noch nie eine einfache Aufgabe. An jenem Tag des Jahres 1973 ließ Anne-Marie sich jedenfalls erstmals in ihrem Leben dazu bewegen, sich etwas Ruhe zu gönnen. Da ein siebenundsiebzigjähriger Knochen nun nicht gar so schnell zusammenwächst, konnte ich mir ausrechnen, dass ich wohl ein paar Monate ohne sie würde auskommen müssen.
    Michael, der sich seiner Rolle bei dem Unfall nicht bewusst schien, wurde, noch ehe man die arme Anne-Marie ins Krankenhaus transportiert hatte, zum Küchendienst verpflichtet. Es galt, trotz allem bis zwölf Uhr ein Essen für dreißig Leute auf den Tisch zu bringen. Glücklicherweise war er sehr aufgeweckt und lernte schnell; die Sprachbarriere stellte kein Problem dar, lässt sich das meiste beim Kochen doch zeigen und nachmachen. Was mich erstaunt hat, war, wie wenig er über Essen wusste. Viele Zutaten hatte er noch nie gesehen und wusste überhaupt nichts mit ihnen anzufangen. Vielleicht stimmt es ja doch, was man sich über die Iren erzählte, dass sie nur Kartoffeln aßen. Aber wie gesagt, er lernte schnell, ja, mehr noch, er hatte Freude an der Arbeit und eine geradezu kindliche Begeisterung für jeden Schritt der Zubereitung. Ganz sicher war ich mir indes nicht, ob nicht ein ganz anderes Anliegen ihn zu mir geführt hatte. Ein- oder zweimal ertappte ich ihn dabei, wie er mich anschaute,

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