Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
darüber. Meine Spezialität war, naturellement , die ländliche französische Küche, was damals in Dublin noch als avantgardistisch galt. Weil wir eine Schanklizenz hatten und bis in den späten Abend Reservierungen entgegennahmen, wurden wir bald zum Geheimtipp unter Theaterleuten, keine ganz ungeteilte Freude: Einerseits waren sie sehr trinkfest und verliehen dem Laden einen gewissen Glamour, andererseits blieben wir häufig auf der Rechnung sitzen und durften unsere völlig außer Gefecht gesetzten Gäste nach Feierabend im Loungebereich zur Ruhe betten. Die Geschichten, die ich über die Dubliner Theaterszene erzählen könnte, dürften so manchen Klatschkolumnisten um Lohn und Brot bringen, aber natürlich rühmen wir uns unserer Diskretion, und Dermot treibt mich bisweilen damit in den Wahnsinn, dass er nicht mal mir verraten will, wer mit wem ins Bett geht.
Ich freute mich, nach so langer Zeit von Oliver zu hören, und fand mich gern bereit, sein Hochzeitsessen auszurichten. Außerdem wollte ich ihm zeigen, dass auch ich Erfolg hatte und in einer glücklichen Beziehung lebte, dass ich kein Freak war.
Die Wahl seiner Braut überraschte mich. Alice. Hübsch war sie, aber wer wusste, mit welch umwerfenden Schönheiten Oliver in der Vergangenheit zusammen gewesen war, konnte sich nur wundern. Alice reichte schlichtweg nicht an seine üblichen Ansprüche heran. Sie war auch keine zweite Laura. Arme Alice. Aber niemand konnte ahnen, was später geschehen sollte, und an jenem Tag hatte ich den Eindruck, dass sie sehr glücklich war. Von Olivers Seite war keine Familie gekommen. Ich hatte schon lange den Verdacht gehabt, dass seine Andeutungen über reiche Eltern und ein Haus auf dem Land nur Fassade waren. Wahrscheinlich war er Waise, und das Fehlen jeglicher Verwandtschaft bei seiner Hochzeit schien meine Vermutung zu bestätigen.
Mittlerweile habe ich Oliver seit Jahren nicht mehr gesehen; höchstens mal im Fernsehen. Sein Erfolg als Kinderbuchautor hat mich gefreut. Ich hätte nicht gedacht, dass er in dieser Richtung Talent besäße. Da ich keine Kinder habe, muss ich gestehen, nur ein einziges seiner Bücher gelesen zu haben. Ich fand es ganz gut, entspreche aber wohl eher nicht der Zielgruppe. Hollywood hat die gesamte Serie mit großem Staraufgebot verfilmt, weshalb ich die Bücher mehr gesehen als gelesen habe. Sein Name tauchte regelmäßig in den Medien auf, und wann immer ich an Oliver dachte, fiel mir erstens mein schrecklich peinliches Outing ein und zweitens der schrecklich tragische Tod meiner schönen Schwester Laura.
Jetzt, da überall in den Nachrichten vom Schicksal der armen Alice berichtet wird und Oliver seinen wahren Charakter offenbart hat, frage ich mich erneut, ob er nicht Schuld trug an Lauras Zusammenbruch. Über ein Jahr lagen zwischen dem Sommer in Frankreich und ihrem Tod, aber ich bin mir so sicher wie nie zuvor, dass in jenem Sommer irgendetwas zwischen den beiden vorgefallen sein muss. Etwas so Schreckliches, Unaussprechliches, dass Laura lieber mit Steinen in den Taschen ins Wasser gegangen ist, als damit zu leben.
XIX
V É RONIQUE
Michael versuchte Laura zu überreden, Château d’Aigse mit ihm zu verlassen, aber sie weigerte sich. Sie wollte unbedingt in Clochamps bleiben, um in aller Stille und Heimlichkeit ihr Kind auszutragen. Dabei kam ihr meine tragische Situation nur zugute. Sie gab vor, mit ihrem Studium ein Jahr aussetzen zu wollen, um mir zu helfen. Schließlich könne man mich jetzt nicht einfach in meiner Trauer allein lassen, kinderlos und verwaist, wie ich war. Ihr Bruder schien überrascht von dieser plötzlichen Sorge um mein Wohlergehen. Er kam zu mir und fragte, ob Laura mir denn wirklich eine Hilfe wäre.
Ich habe ihm nicht gesagt, in welch prekärer Lage seine Schwester sich befand. Und Hilfe konnte ich natürlich gebrauchen. Meine Hände waren noch immer dick bandagiert und zu nichts zu gebrauchen, und so liebenswürdig und hilfsbereit die Nachbarn auch waren, letztlich war ich doch allein. Michael versicherte mir, dass er und seine Freunde für die Arbeit des letzten Monats keine Bezahlung wollten. Das war sehr nett von ihm, très sympathique . Er und Laura waren gute, wirklich gute Menschen.
Von meinem Schlafzimmerfenster aus konnte ich mit ansehen, wie Oliver sich von Laura verabschiedete. Ich hatte Angst, sie könne ihm eine Szene machen, doch sie wirkte sehr ernst und gefasst. Erst flüsterte sie ihm etwas ins Ohr, dann nahm sie seine Hand und
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