Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
fühlte nichts, gar nichts, außer einem nadelscharfen Schmerz, der sich mitten in meine Seele bohrte. Ich schlief nicht mehr, denn es war mir unerträglich, jeden Tag erneut dem Grauen ins Gesicht zu sehen.
Laura, meine süße Laura, versuchte mich zu trösten. Alle wussten, wie nah ich den Toten gewesen war, aber ich ertrug ihre gut gemeinten Plattitüden nicht und wies sie bald wieder zurück. Gemeinsam mit den anderen half ich bei den Aufräumarbeiten, versuchte jedoch, Madame Véronique aus dem Weg zu gehen, deren Familie ich auf dem Gewissen hatte.
Ich rettete, was im Arbeitszimmer noch zu retten war, doch viel war es nicht. Außer ein paar alten Karten und einem Briefbeschwerer aus Elfenbein, die das Feuer in einer Metallkassette unbeschadet überstanden hatten, war nichts geblieben. Madame kam zu mir und fragte mich nach den ledergebundenen Büchern, woraus ich schloss, dass Monsieur ihr doch von unserem Projekt erzählt hatte. Ich sagte ihr, auch sie seien zerstört worden. Dann brach ich zusammen und weinte, und sie hielt mich in ihren bandagierten Armen, und ich fühlte mich noch schlimmer als zuvor. Die Feuerwehr gelangte zu dem Schluss, dass ein Funke aus Monsieurs Pfeife durch die Tür in den Anbau geflogen und das Paraffin entzündet haben musste, was Ursache für den Brand gewesen sei.
Vier Tage vor unserer geplanten Abreise teilte Laura mir mit, dass sie ein Kind von mir erwarte. Ich war kaum fähig, die Nachricht aufzunehmen, geschweige denn angemessen zu reagieren, und so ignorierte ich sowohl sie als auch Laura. Doch in den folgenden Tagen konnte ich ihr nicht entkommen, Laura war überall. Meine Trauer ließ mich die Beherrschung verlieren, und ich schnauzte sie an, sie solle mich damit in Ruhe lassen, ich hätte eben erst mein Kind begraben. Ihr fassungsloser Blick machte mir bewusst, was ich gesagt hatte und dass ich es genau so meinte. Sie heulte und bettelte, aber mehr Gefühle konnte ich nicht für sie aufbringen. Ich war am Ende. Mit letzter Kraft sagte ich ihr, sie solle sich um die Sache kümmern und mir die Rechnung schicken. Irgendwie würde ich das Geld schon zusammenbekommen. Und wieder fing sie an zu heulen.
Laura reiste nicht mit uns zurück, was ich für eine sehr vernünftige Entscheidung hielt. Ich nahm an, sie würde sich hier irgendwo einen Arzt suchen, der die Sache aus der Welt schaffte. Michael konnte nicht verstehen, was in seine Schwester gefahren war, weshalb sie plötzlich auf Château d’Aigse bleiben wollte. Zwei Tage lang spielte er in sündhaft teuren Telefonaten den Vermittler zwischen Laura und ihren Eltern. Ich versuchte derweil, ihm Lauras Entscheidung als Akt der Nächstenliebe zu verkaufen. Sie wollte einfach bleiben, um Madame Véronique zu helfen, was war schon dabei? Mittlerweile wusste er, dass wir uns getrennt hatten, die näheren Umstände schien Laura jedoch für sich behalten zu haben. Am Tag unserer Abreise konnte ich weder ihr noch Madame Véronique in die Augen sehen. Ich schämte mich zu sehr.
Meine Scham hielt mich indes nicht davon ab, die ledergebundenen Alben, die jede jemals von Vincent d’Aigse verfasste Geschichte enthielten, in ein Handtuch gewickelt tief in meinem Koffer zu verstauen. Ich bin mir nicht sicher, warum ich sie mitgenommen habe. Vielleicht wollte ich nur etwas bei mir haben, das mich an meine beiden Freunde erinnerte. An ihre Unschuld, ihre Güte, ihre Reinheit. Vielleicht brauchte ich auch eine Erinnerung an meine Schuld. Ich hatte Madame Véronique angelogen, aber diese Geschichten waren alles, was mir von den zwei Menschen geblieben war, die mir so viel bedeutet hatten. Ich konnte sie nicht zurücklassen.
Zurück in Dublin, in meinem düsteren Zimmer, brachte ich eine ganze Woche im Bett zu, sprach mit niemandem und verließ nicht das Haus. Wie sollte ich jemals erklären, dass ich nur ein Held hatte sein wollen, niemals ein Mörder?
Die Bücher lagen mahnend auf der Kommode, bezichtigten mich der Schuld, doch ich brachte es nicht über mich, sie wegzuwerfen. Ich rührte sie nicht an und würdigte sie keines Blickes. Als ich mich schließlich aus meinem Elend aufraffte und das Haus verließ, ging ich in einen Trödelladen, wo ich eine alte Holzkiste mit robustem Schloss erstand. Sowie ich zu Hause war, schloss ich die Bücher darin ein und hoffte zu vergessen, wo ich den Schlüssel versteckt hatte.
Laura ließ sich nicht so leicht vergessen. Sie schrieb mir etliche Briefe, in denen sie mich zu überzeugen
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