Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
versuchte, dass »wir« das Baby doch behalten könnten, dass ihre Eltern uns letzten Endes schon beistehen würden. Einen Augenblick zog ich es durchaus in Erwägung, verwarf die Idee dann rasch wieder. In eine reiche Familie einzuheiraten, war keine schlechte Aussicht, aber ein Kind großziehen? Wo ich gerade erst eines getötet hatte? Das konnte selbst ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Dann hieß es auf einmal, sie wolle das Kind in Frankreich bekommen und wir könnten das Kind dort gemeinsam aufziehen. Zwei Monate später schrieb sie, sie werde das Kind auch dann behalten, wenn von mir keine Unterstützung zu erwarten sei. Ihre Ankündigung, nach Hause zurückzukehren, versetzte mich in Panik. Ich hatte auf keinen ihrer Briefe geantwortet, sah jedoch ihrer Nachricht von der Geburt des Kindes mit wachsender Sorge entgegen.
Doch der besagte Termin kam und ging, und ich hörte nichts von ihr. Drei Monate später dann, wahrscheinlich in einem allerletzten Versuch, mich umzustimmen, schickte sie mir ein winziges, rosafarbenes Patientenarmband, auf dem »Baby Condell« geschrieben stand. Ein Brief lag nicht bei, und ich war froh, dass sie meinen Namen nicht angegeben hatte. Wie es aussah, hatte ich jetzt ein Kind. Ein Mädchen.
Das ungewollte Kind eines ungewollten Kindes. Vielleicht fällt der Apfel ja doch nicht so weit vom Stamm. Ich könnte mich jetzt zahlreicher Klischees bedienen, um zu veranschaulichen, wie sehr ich meines Vaters Sohn bin. Genau wie er wollte auch ich kein Kind. Vielleicht habe ich sogar noch schlimmer gehandelt als er, indem ich es gar nicht erst anerkannte. Doch wozu? Wenn Laura vernünftig war, würde sie die Kleine nicht mit nach Hause bringen. Solange Michael sich hier nicht einmal zu seiner Sexualität bekennen konnte, musste ihr klar sein, welche Probleme ein »Bastard«, wie es damals hieß, mit sich brachte.
Ende August 1974 hörte ich, dass Laura nach Hause kommen sollte; von einem Kind war nicht die Rede. Ich nahm an, dass sie es zur Adoption freigegeben hatte, und hoffte, es käme in eine Familie, in der es geliebt wurde. Zugleich kamen mir Zweifel, ob es jemals ein Kind gegeben hatte. Ich hielt es durchaus für möglich, dass Laura niemals schwanger gewesen war. Ich wusste nichts von dem Kind, wusste weder, ob es lebte oder tot war. Vielleicht hatte sie es doch abtreiben lassen oder eine Fehlgeburt gehabt. Warum hatte sie dieses Armband geschickt und kein Foto? Hätte sie mich wirklich überzeugen wollen, das Kind zu behalten, würde sie dann kein Foto geschickt haben? Mein Instinkt sagte mir zudem, dass Laura ihr Kind niemals weggegeben hätte. Sie war mutiger als ich.
Den folgenden Oktober sah ich Laura wieder auf dem College, ging ihr aber aus dem Weg. Dünn war sie und wirkte kränklich, meistens sah ich sie allein. Gerüchte kursierten, sie leide an Depressionen. Michael kam zu mir und bat mich, mit ihr zu reden. Ich konnte schlecht Nein sagen. Als ich sie bei nächster Gelegenheit in der Bibliothek sah, sprach ich sie an. Sie stand vor den Regalen der anthropologischen Abteilung. Ich sagte Hallo und fragte, ob sie einen Kaffee mit mir trinken wolle. Statt einer Antwort nahm sie meine Hand und legte sie auf ihren Bauch, der so flach war, dass er sich fast nach innen wölbte, ganz kurz nur, dann ging sie davon. Genau dieselbe Geste hatte sie in Frankreich gemacht, als ich sie verließ.
Ich war wütend und schrieb ihr stattdessen einen Brief, in dem ich ihr versicherte, dass sie richtig gehandelt habe. Jetzt wäre es aber an der Zeit, fuhr ich fort, die Vergangenheit gut sein zu lassen und in die Zukunft zu blicken. Sie antwortete nicht auf meinen Brief, sondern schickte ihn zurück. In winzige Schnipsel zerrissen fand ich ihn durch die Schlitze meines Schließfachs geworfen.
Laura war ganz offensichtlich labil. Ein, zwei Monate später hörte ich, sie habe ihr Studium abgebrochen, und dann rief Michael mich an und sagte, sie sei tot.
Ich versuchte, etwas zu empfinden, wartete auf eine Reaktion. Ich versuchte zu weinen. Schuldgefühle oder Wut hätte ich erwartet, doch stattdessen empfand ich eine seltsame Leere. Eine Leere, die hinzukam zu jener, die meine Seele bereits inwändig ausgezehrt hatte, so man daran glauben mag, dass wir Seelen haben. Ich hatte Laura zurückgewiesen und damit verletzt, doch ich empfand nichts – außer dass es nun eine Erinnerung weniger an jenen Sommer gab. Es tut mir leid, dass sie das Leben nicht mehr lebenswert fand. Ein anderer
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