Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
auch seltsam euphorisch. Niemand blieb allzu lang auf, lag doch ein weiterer anstrengender Tag vor uns. Ich lag in meinem Bett, lauschte dem Atem der anderen, wartete, dass meine Zimmergenossen ihrem wohlverdienten Schlaf anheimfielen. Michael versuchte, mich in eine geflüsterte Unterhaltung über Laura zu verwickeln. Ihm war aufgefallen, wie außer sich sie heute Abend gewesen war. Ich gab zu, dass wir uns gestritten hatten, behielt das Ausmaß unseres Zerwürfnisses aber für mich. Ich versprach, morgen mit ihr zu reden und die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Damit gab er sich zufrieden und ging zu Bett. Wenig später hörte ich nur noch seinen ruhigen, regelmäßigen Atem.
Sowie alle schliefen, schlich ich hinüber zum Haus und durch die Hintertür ins Arbeitszimmer. Die ledergebundenen Alben und losen Seiten, an denen ich zuletzt gearbeitet hatte, lagen in einem Regal in der Ecke, nahe der Tür. Beides musste unbedingt vor den Flammen bewahrt werden. Wie dankbar man mir wohl wäre, wenn die Arbeit eines ganzen Sommers gerettet und Jean Lucs persönliches Erbe unbeschadet bliebe?
Ich legte die Sachen beiseite, häufte zerknülltes Papier um die Bücherregale und tränkte es mit Feuerzeugbenzin. In zwanzig Minuten wollte ich das Feuer »bemerken«, damit noch Zeit genug blieb, es unter Kontrolle zu bringen. Ich legte eine Papierlunte, zündete sie an und wartete einen Moment ab, um mich zu vergewissern, dass sie nicht vorzeitig erlosch. Nachdem ich Monsieurs gesammelte Werke draußen versteckt hatte, schlich ich zurück ins Bett und musste nur noch den richtigen Augenblick abwarten, um Alarm zu schlagen.
Alle paar Sekunden schaute ich auf meine Uhr, aber die Zeit schien stillzustehen; der Minutenzeiger rührte sich nicht von der Stelle. Ich hielt mir die Uhr ans Ohr, tick, tick, tick, sie funktionierte einwandfrei. Als es nur noch wenige Minuten bis zu meinem geplanten Alarm waren, hörte ich an der Tür der Hütte jemanden leise meinen Namen rufen. Laura, verdammt. Ich stand auf und ging zu ihr, und wir führten praktisch dieselbe Auseinandersetzung wie ein paar Stunden zuvor, doch diesmal ging sie zum Angriff über.
»Du kannst mich nicht ohne jede Erklärung einfach so abservieren! Du kannst mich jetzt nicht verlassen! Wir lieben uns doch!«
Sie wurde laut, geradezu hysterisch, und ich wusste, dass ich hier wegmusste, hinüber zum Haus und das Feuer löschen. Mittlerweile waren ein paar der anderen aufgetaucht, um zu sehen, was los war, und Laura packte mich bei den Schultern und heulte: »Warum? Warum? Was habe ich dir getan?«
Ich wollte nur, dass sie endlich Ruhe gab. »Nichts, gar nichts. Ich kann nur nicht … ich kann einfach nicht.«
Michael tauchte aus dem Dunkel der Hütte auf. Er war sichtlich verärgert, und ich glaube, es war ihm peinlich, dass Laura hier eine solche Szene machte. Wir würden alle aufwecken und sollten gefälligst wieder ins Bett gehen, herrschte er uns an. Was hätte ich tun sollen? Dreißig Minuten dürften seitdem vergangen sein, aber noch immer hatte kein Anzeichen von Feuer oder Brandgeruch unser Quartier erreicht, weshalb ich ihm widerstrebend zurück in unsere Hütte folgte, während Laura schluchzend von einem der Mädchen weggeführt wurde. Ich war wütend, und kaum hatte ich mich hingelegt, kam Michael wieder an und begann mir im Flüsterton einen Vortrag über Lauras Gefühlslage und ihre »Empfindsamkeit« zu halten. Sollte ich einfach wutentbrannt davonstürmen und dabei, wie zufällig, auf das Feuer stoßen? Wie lange konnte ich noch warten? War das Feuer vielleicht doch von selbst erloschen? Michael redete und redete, doch plötzlich hielt er mitten im Satz inne. »Was ist das für ein Geruch?«, fragte er, sprang auf und rannte zur Tür.
Michael war es, der Alarm schlug. Michael wäre der Held geworden, nicht ich. Aber er kam zu spät, um Leben zu retten.
Ich habe nicht von dem Paraffin gewusst, das im Anbau gelagert wurde. Ich bin auch nie in den oberen Geschossen des Hauses gewesen und ging davon aus, dass sich im Ostflügel keine Schlafzimmer befänden. Ich schwöre bei meinem Leben, dass ich weder dem Jungen noch seinem Großvater ein Leid zufügen wollte. Und doch bin ich allein schuld an beider Tod. Nie werde ich die entsetzlichen Schreie von Jean Lucs Mama vergessen. Seit bald vierzig Jahren suchen sie mich unvermindert heim.
In den Tagen, die folgten, setzte ich mechanisch einen Fuß vor den anderen, bekundete Beileid und Mitgefühl, doch ich
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