Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
dem Gut eingesetzt würde. Ich hatte den Eindruck, dass sie längst wusste, womit ihr Vater mich beschäftigte, aber sie ließ uns gewähren.
Je mehr ich von seinen Geschichten hörte, desto besser fand ich sie. Ich fand sie so gut, dass man sie einem Verlag hätte anbieten können, aber Monsieur bestand darauf, sie ausschließlich für seine Familie geschrieben zu haben. Wenn Jean Luc älter sei, könne er selbst entscheiden, was mit ihnen geschehen solle.
Laura fing derweil an sich zu beschweren, dass ich nicht genügend Zeit mit ihr verbringe. Sie hatte recht. Die Arbeit machte mir Spaß, und ich genoss die Gesellschaft meiner beiden Verbündeten; verschiedentlich wurde ich eingeladen, abends mit der Familie zu essen. Madame Véronique war mir gegenüber etwas zurückhaltender als ihr Vater und ihr Sohn, aber ich war gern mit der Familie zusammen und fand es schwer, am Ende eines Arbeitstages Abschied zu nehmen. Ich versuchte Laura zu beschwichtigen, versprach ihr, den nächsten Abend mit ihr zu verbringen, doch hielt ich diese Versprechen nur selten. Der alte Mann behandelte mich wie einen Sohn. Er gab mir das Gefühl, ein guter Mensch zu sein. Eine Familie schien mir verlockender als alles, was Laura mir zu bieten hatte – nur geschlafen habe ich auch weiterhin mit ihr. Man ist schließlich auch nur ein Mann.
Während ich die Geschichten abtippte und sie sorgfältig in die ledernen Alben klebte, kam ich dem alten Mann und dem kleinen Jungen immer näher. Ich gehörte ihrer geheimen Welt an und wurde ohne alle Fragen von ihnen akzeptiert. Ich konnte kaum genug bekommen von ihrer Gesellschaft, und auf einmal kam es mir vor, als hätte ich mit Laura nur meine Zeit verschwendet. Eine Liebesbeziehung konnte niemals heranreichen an diesen Bund zwischen uns drei Männern, die wir, zumindest theoretisch, drei Generationen einer Familie hätten sein können. Ich verlor jegliches Interesse an Laura. Ihre Liebe, ihre Lebensfreude hatten ihren Reiz für mich verloren, allenfalls ihrem Körper konnte ich noch etwas abgewinnen. Als sei der Bann einer Verführerin gebrochen, verloren alle früheren Freuden an Bedeutung. Der alte Zauberer und sein junger Knappe hatten einen neuen Bann über mich gebracht. Dieser neue Bund fühlte sich besser an, reiner.
Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich mich jemandem anvertrauen. Ich erzählte Monsieur, dass mein Vater nie Interesse an mir gezeigt hatte, was ihn sichtlich bestürzte. Ungläubig schüttelte er den Kopf, als wolle er sagen: »Wie sollte ein Mann nicht stolz auf einen solchen Jungen sein?« Dafür liebte ich ihn. Dann meinte er, es gäbe Schreibarbeit für mehr als nur einen Sommer, und ich stimmte begeistert zu, im nächsten Jahr wiederzukommen.
In Wahrheit wollte ich gar nicht erst gehen. Die Ferien neigten sich ihrem Ende zu, doch die Vorstellung, in mein tristes, trostloses Zimmer zurückzukehren, erfüllte mich mit Grauen, und auch Lauras unerschütterliche Liebe konnte meine stetig wachsende Furcht vor der Zukunft nicht zerstreuen.
Damals machte ich mir ernsthaft Sorgen, welche Aussichten ich wohl hätte. Die meisten meiner Kommilitonen konnten mit Unterstützung seitens ihrer Familien rechnen, aber ich lebte von der Hand in den Mund. Ich wusste es zu verbergen und kaufte mir gute Kleidung aus zweiter Hand, lieh meine Bücher in der Bibliothek und wusste mir zu beschaffen, was ich brauchte. Aber auf meinem Zimmer, hinter geschlossener Tür, lebte ich von Tee, Brot und dem Obst, das ich vom Markt mitgehen lassen konnte. Ich empfing keine Besucher in diesem Zimmer und ließ meine Freunde in dem Glauben, meine Eltern wohnten irgendwo auf dem Land. Derweil besuchte ich Freunde oft und gern zu Hause, machte Bekanntschaft mit ihren Familien und erfuhr auf diese Weise, wie andere Leute lebten. Nichts wünschte ich mir sehnlicher als zu haben, was sie hatten, doch es schien mir ein aussichtsloses Unterfangen. Ich war neidisch auf ihr Leben, ihre Zuversicht, die Sorglosigkeit, mit der sie in die Zukunft blickten. Ohne die unverzichtbaren Kontakte, die alle außer mir zu haben schienen, ohne den finanziellen Rückhalt, der mir ein eigenes Unternehmen ermöglicht hätte, schien ich für eine niedere Beamtenlaufbahn prädestiniert. Als ich mir von Pater Daniel das Fahrgeld nach Frankreich lieh, deutete er vorsichtig an, mich nach dem College nicht länger finanziell unterstützen zu können. Die Situation war uns beiden ausgesprochen unangenehm, doch ich war ihm dankbar
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