Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
Mann hätte ihr die Liebe geben können, derer sie bedurfte. Sie war so hinreißend, so schön, so freundlich und charmant, zumindest vor Frankreich. Ich kannte einige Männer, die alles gegeben hätten für eine Verabredung mit der wunderbaren, unnahbaren Laura Condell. Es tut mir leid um sie, doch es war nicht meine Schuld. Nichts von alledem war meine Schuld. Nach Meinung der Psychologen sei Lauras Tod das Ereignis gewesen, ab dem mein Leben eine unumkehrbare Wendung genommen habe, ab dem ich unwiederbringlich verloren gewesen sei. Normal wäre gewesen, ich hätte geheult und mir die Haare gerauft, mich zerfleischt in Selbstvorwürfen. Doch wozu? Mit Schuld war ich zu jenem Zeitpunkt längst durch, und was hatte es mir je gebracht?
Im Jahr darauf schloss ich mein Studium mit der Note 2,2 ab, was sich durchaus sehen lassen konnte. Ich hätte gern ein eigenes Unternehmen aufgezogen, einen Weinimport oder etwas in der Art, aber ohne Kapital oder Kompagnon konnte man das vergessen.
Meine finanzielle Misere und wohl auch die Suche um Rat trieben mich eines Abends zum Haus meines Vaters. Nachdem ich geklingelt hatte, trat ich einen Schritt zurück und wartete. Hinter einem der Fenster nahm ich eine Bewegung wahr, sah, dass er mich sah, dann wurde der Vorhang wie von unsichtbarer Hand zugezogen, und die Tür blieb geschlossen.
Ich fand eine Stelle bei der Finanzbehörde, ein öder Job mit ebensolchen Kollegen, die niederste Lebensform, die man sich nur denken kann. Das Gehalt reichte jedoch, um mir eine Wohnung an der Raglan Road zu mieten, in einem der besseren Viertel Dublins. Der Umzug ging recht schnell vonstatten. Nur ein alter Koffer und eine Tüte mit meinen Tassen, Töpfen, meinem Wasserkessel und dem Radio. Und meine grüne Holzschatulle. Den Schlüssel dazu hatte ich in der Tasche.
Mein neues Zuhause war fast noch kleiner als meine vorherige Unterkunft, aber die Lage! Ich lebte von Bohnen, Eiern und Tee und sparte mir so das Jahr über die Reisen vom Mund ab, die ich jeden Sommer mit einigen aus der alten Clique unternahm. Ich log, was meine Tätigkeit anbelangte, und gab vor, mich durch die Ränge des diplomatischen Dienstes zu arbeiten. Und alldieweil schwelte mein Neid.
Anfang 1982 begann mich das alles ziemlich zu deprimieren. Sieben Jahre hatte es gedauert, bis ich vom Angestellten zum Beamten befördert wurde – und das auch nur, weil jemand gestorben war. Ich war es leid, kein Geld zu haben, ich war es leid, immer so zu tun als ob, ich war mich selbst leid. Ein Ende meiner Misere schien nicht absehbar. Niemand würde mich aus meinem Elend befreien. Niemand würde mich retten. Meine Gedanken begannen mit mir durchzugehen. Ich musste an meinen Helden denken, den Mann, der mich gerettet hätte, doch er war tot. Mit Wehmut dachte ich an diesen gütigen Alten, an den Jungen, an eine Zeit, da mir alle Möglichkeiten offenzustehen schienen, da ich von Schönheit und Anstand umgeben war. Auf einmal schien mir die Kiste, die oben auf meinem Kleiderschrank verstaubte, wie ein Wink des Schicksals.
Schon oft hatte ich im Laufe der Jahre erwogen, sie einfach fortzuwerfen, in der Hoffnung, dass ich mich mit den Büchern auch meiner Schuld entledigen könnte. Doch ich hatte es nie getan. Es wäre mir wie ein Frevel erschienen. Sie standen für die Reinheit, Güte, Schönheit, die ich unwiederbringlich zerstört hatte und doch so sehr brauchte. Damals konnte ich mir dieses Bedürfnis nicht erklären, ich war mir seiner nicht einmal bewusst. Ich wollte mich einfach nur erinnern an alles, was war und hätte sein können.
Mit zitternden Händen schloss ich die Kiste auf. Ich las mir die Geschichten noch einmal durch. Insgesamt waren es zweiundzwanzig, einige schon ordentlich von mir abgetippt und in die ledergebundenen Bücher eingeklebt, andere von zittriger Hand auf lose Blätter geschrieben, die ich sorgfältig zwischen die noch leeren Seiten eingelegt hatte. Danach tat ich eine ganze Woche kein Auge zu, doch ein paar Flaschen billigen Weins halfen mir schließlich, das Kind zu vergessen, für das sie geschrieben worden waren, und die Hand, welche die erste Fassung zu Papier gebracht hatte.
Irgendwann ging mir auf, dass diese Geschichten den Ausweg boten, nach dem ich gesucht hatte. Wären die zwei nicht gestorben, wäre ich Teil ihrer Familie geworden. Hätten diese Geschichten dann nicht auch mir gehört? Ich war es, den der alte Mann mit ihrer Reinschrift betraut hatte. Warum ich? Warum ein irischer Student,
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