Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
für alles, was er für mich getan hatte. Er schlug mir noch einmal vor, als Lehrer an die Schule zurückzukehren, aber das war für mich längst undenkbar geworden. Über weibliche Aufmerksamkeit konnte ich mich nicht beklagen. Mir war jedoch klar, dass keine der Frauen, die für mich in Frage kämen, einen armen Schlucker ohne Perspektiven heiraten würde. Ich musste mir etwas einfallen lassen.
Was konnte ich tun, damit sie mir anboten, bei ihnen zu bleiben? Wie konnte ich Monsieur d’Aigse so für mich einnehmen, dass er mich »adoptieren« würde? Kurz erwog ich sogar, Madame Véronique zu verführen, doch sie reizte mich nicht, und die Vorstellung meiner idealen Zukunft sah zudem vor, dass ich um meiner selbst willen akzeptiert wurde. Ich wollte nicht lügen, mich nicht verstellen müssen. Wie idealistisch ich war!
Mein Französisch war gut genug, mich mit den Einheimischen zu unterhalten, weshalb ich wusste, welchen Mut Monsieur während des Krieges bewiesen hatte. Im Dorf galt er als Held. Könnte ich nicht auch ein Held werden? Was, wenn ich Leben rettete? Ich begann mir auszumalen, wie ich im selben Licht erstrahlen würde wie Monsieur. Ganz Clochamps würde mich als einen der ihren feiern. Was, wenn ich Jean Luc rettete? Würde mir das nicht immerwährende Dankbarkeit garantieren? Doch dann ging mir auf, dass ich ihn nur würde retten können, wenn ich sein Leben zuvor in Gefahr brachte, und das stand natürlich ganz außer Frage. Doch sie wollten mir einfach nicht aus dem Sinn, diese Träume einer glorreichen Zukunft. In meiner Vorstellung waren sie längst Wirklichkeit, und ich betrachtete den alten Mann und seinen Enkel mit stetig wachsender Zuneigung.
Und wenn ich schon keine Leben rettete, was, wenn ich wenigstens das Château rettete? Das wäre doch eine Möglichkeit. Binnen weniger Tage, während derer ich die Lage sondierte, nahm der Plan langsam Gestalt an. Ich wusste, wie man ein kleines Feuer unter Kontrolle hielt. Jeder, der jemals auf einem Internat war, versteht sich auf die Kunst des Zündelns. Wir kannten alles, was zischte und knallte, wussten, was lange, laut und farbenfroh brennt. Wir wussten, wie man Explosionen auslöste und wie man den verräterischen Schwefelgestank wieder loswurde. Wer meint, Not mache erfinderisch, weiß nicht, wozu Langeweile befähigt.
Anfang September begann die Traubenlese, weswegen alle verfügbaren Kräfte auf dem Weinberg benötigt wurden. Aber zu diesem Zeitpunkt kannte ich mich im Haus schon recht gut aus und wusste, dass Monsieurs Arbeitszimmer reichlich brennbares Material bot mit all seinen alten Büchern und Karten, den Registern und Annalen, die Handel und Geschichte des Hauses d’Aigse dokumentierten. Wenn ich als Erster zur Stelle wäre, wenn ich das Haus vor den Flammen rettete, würde ich der Held sein. Ich könnte mithelfen, die Bibliothek in ihrer alten Pracht wiederherzurichten. Niemand kannte sich dort so gut aus wie ich, niemand wusste besser, was wo verwahrt wurde. Das würde Monsieur gewiss genauso sehen und mich bitten zu bleiben. Er würde sich selbst die Schuld geben. Ein Funken aus seiner Pfeife musste unbemerkt zwischen die Papiere geflogen sein, hatte dort so lange geschwelt, bis sie Feuer fingen.
Das größte Problem war, Laura an jenem Abend loszuwerden. Sie müsse mit mir reden, sagte sie, und zwar allein. Ich nahm an, sie wolle mir sagen, was mit ihrem Buder los war, doch das wussten sowieso schon alle. Ich entgegnete, ich wäre erschöpft und wolle schlafen. Es sei dringend, beharrte sie, sie müsse mir etwas Wichtiges mitteilen. Ich verlor die Beherrschung, sagte ihr, ich hätte langsam genug von ihrer Anhänglichkeit, ihrer Eifersucht auf meine Arbeit im Haus und meine Freundschaft mit Monsieur und Jean Luc. Ich sagte ihr, mit uns wäre es aus und vorbei und sie solle sich jemand anderen suchen, dem sie hinterherlaufen könne. Ich war unnötig grausam. Das bereue ich. Aber ich war zu sehr mit meinem arglistigen Plan beschäftigt, um mir über ihre Gefühle Gedanken zu machen.
Monsieur und Jean Luc kamen hinunter an den Weinberg, um uns gute Nacht zu wünschen. Wir arbeiteten jeden Tag bis zum Einsetzen der Dämmerung, und ich war seit einer Woche nicht mehr im Schloss gewesen.
»Gute Nacht, Runzelstirn!«, rief der Junge und lachte vergnügt.
»Gute Nacht, Prinz Felix!«, erwiderte ich.
Ich muss an diesem Abend sechs Tassen Kaffee getrunken haben, um mich wachzuhalten. Natürlich war ich erschöpft, gleichzeitig aber
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