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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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könnte als Graf und Feldherr ein ganz Großer werden, weithin berühmt, der Schrecken meiner Feinde …«
    Es war wohl nur Zufall – vielleicht aber auch ein Augenzwinkern der Götter –, dass genau in dem Moment, als Baldur vom Schlachten und Töten sprach, ein schwarzer Auerhahn auf einem Ast nicht weit von uns landete. Baldur hielt inne und gab mir ein Zeichen, mich still zu verhalten. Aus einer Satteltasche zog er eine Art Werkzeug, ich erkannte nicht gleich, um was es sich handelte, bis er es über seinen Kopf hob: ein kleines Beil, dessen Holzgriff so lang wie meine Hand war, die metallische Klinge halb so lang. Baldur, der Hüne, bewegte sich, als würde die Zeit mit halber Geschwindigkeit vergehen. Er holte aus. Das Beil traf den Auerhahn, doch es tötete ihn nicht. Der Vogel fiel vom Baum, zappelnd zog er seine Blutspur über den reinen Schnee, und zwei Mal schien es, als würde er davonfliegen können, doch er fiel nach kurzem Aufstieg wieder zu Boden. Langsam versiegten seine Kräfte in dem Maß, in dem das Blut aus seinem Körper strömte. Das alles geschah in großer Stille. Nur ein paar Schritte von Baldur und mir entfernt ergab sich der Auerhahn dem Tod. Sein Schnabel öffnete und schloss sich, ohne dass ein Laut hervorkam.
    Baldur stapfte durch den hohen Schnee und kniete neben seiner Beute nieder.
    »Ich werde dir seine Federn zum Geschenk machen«, rief er mir zu. »Prächtige Federn, du wirst sehen. Du kannst sie an deine Gewänder stecken. In den Städten gibt es Damen, die sich einen Fächer aus ihnen machen. Ganz wie du willst.«
    Er hatte das Tier für mich getötet. Ich sah mich um, überall Blut. Die Landschaft war verwandelt, so als wäre sie Teil eines Albtraums.
    Ich lehnte mich an das Pferd an. Mein Blick schweifte dabei wie zufällig über die Satteltasche, und ich entdeckte zwei weitere Waffen: ein Schwert, das viel zu schwer war, als dass ich es hätte heben oder gar schwingen können, sowie einen Dolch einfacher Machart. Ich nahm ihn und machte den ersten Schritt auf Baldur zu.
    Er war damit beschäftigt, den Auerhahn zu rupfen, und nahm nicht wahr, dass ich mich von hinten näherte. So wie seine Bewegungen, als er auf den Auerhahn gezielt hatte, mit verzögerter Geschwindigkeit abgelaufen waren, so kam es mir nun vor, als gehe das Leben einen langsameren Gang und ich mit ihm. Jeder Schritt war mit Fragen, Gedanken und Erinnerungen verbunden.
    Warum waren wir dort? Was hatte uns an diesen Schicksalsort gebracht? Wo hatte das Blutvergießen seinen Anfang genommen?
    Vierzehn Jahre vor diesem Tag waren Boten eines christlichen Herrschers – ich meine, er hieß Arnulf und nannte sich Kaiser – zu uns an den Großen See gekommen. Sie erbaten im Namen ihres Herrn, dass unser Volk ihm beistehe, indem es ein Heer entsende, welches über Kärnten herfallen solle. Die Belohnung, die er uns versprach, war so hoch, dass unser König und die Stammesführer sie nicht ausschlagen wollten: Die Anerkennung unseres Siedlungsraumes als unser Land. dazu durften wir an beweglichen Gütern behalten, was wir erbeuteten. So geschah es. Unsere Männer fielen in Kärnten ein, dort stahlen und brandschatzten sie, und als sie heimkamen, waren ihre Augen nicht mehr dieselben. Sie waren verführt von der Einfachheit der Gewalt und abgestumpft vom Grauen. Doch der zweite Teil des Vertrages wurde nicht erfüllt, unserem Volk wurde abgesprochen, Bewohner eines eigenen Landes zu sein. Stattdessen wurden wir als heidnische Ungeheuer beschimpft. Es kam zu ersten Kämpfen. Unser König Bulcsú unternahm daraufhin den Versuch, den Streit beizulegen, und man einigte sich auf ein Treffen in Baiern. Als Bulcsú dort erschien, wurde er erschlagen.
    In unserem Volk brach ein heftiger Streit aus, wie man darauf reagieren sollte. Wir waren Siedler und Pferdezüchter gewesen, ein Volk von Jägern und manchmal auch von Räubern, niemals aber von Bestien. Doch eine Erfahrung lässt sich nicht auslöschen. Wir hatten bereits ein ganzes Land geplündert, um für uns den Frieden zu sichern, wieso also nicht ein zweites Mal? Das Wesen der Gewalt ist, dass man sie nicht rufen und fortschicken kann, wie es beliebt. Atmen wir erst einmal ihre Luft, wird sie zunächst zu einem Teil von uns, bevor wir zu einem Teil von ihr werden. Unser Überfall auf Baiern war noch verheerender als der auf Kärnten. Die Baiern schlugen grausam zurück, wir brannten ihre Städte nieder, sie hängten unsere Männer an den Füßen auf, wir verstümmelten

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