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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Horden, sie drangen bis Langres vor, sie ergriffen einige unserer Diener, leider auch Bilhildis, und dann … Eine Woche später gab ich Agapet mein Jawort.
    All das zog noch einmal an mir vorbei.
    Mit dem Einbruch der Nacht wurden vier Fackeln entzündet, die in der Finsternis meine einzige Gesellschaft waren. Als zur Mitte der Nacht die letzte Fackel erloschen war, erlitt ich einen Rückfall. Mir kam es plötzlich so vor, als würde die Erde sich unter mir bewegen, und ich sprang vom Schemel auf. Dann hörte ich Geräusche von allen Seiten, ich wandte mich hierhin und dorthin. Ich sah Katzenaugen leuchten. Die Mücken fielen über mich her. Die Burg war wie ein riesiger, unbelebter Felsen in meinem Rücken. Ich war allein, verlassen. Als ich mich im Gras niederließ, packte mich die Angst angesichts des gewaltigen Sternenzelts über mir, ja, ich fühlte mich dem strafenden Gott anheimgegeben, und schließlich weinte ich.
    Die meinen Körper erfassende Kälte brachte die Wende. Ich erinnerte mich des Mantels, den Aistulf mir zum Schutz vor der Kühle der Nacht – doch vielleicht nicht nur deshalb – neben dem Schemel zurückgelassen hatte, und ich legte ihn mir um die Schultern. Augenblicklich besserte sich meine Lage. Um auch die letzten Geister zu vertreiben, flüsterte ich, wieder auf dem Schemel sitzend, Aistulfs Namen in die Dunkelheit, an die tausend Mal, wie man eine Erwartung beschwört. Von meinem Sohn abgesehen, dessen Gegenwart ich seit sieben Jahren schmerzlich entbehre, habe ich mir noch nie einen Menschen stärker herbeigewünscht als Aistulf.
    Die Nacht zerbrach vor meinen Augen. Vom Horizont stiegen Farben auf und flossen ineinander, der Fluss nahm Konturen an, der Himmel wurde wieder blau, der Wald grün und die Felder strohgelb. Es war überstanden. Nie wieder, so sagte ich mir, würde ich mich vor Gott oder Agapet fürchten müssen. Ich war ein neuer Mensch, getauft von der Nacht.
    Ich hatte Agapet endgültig verlassen. Weder ich noch ein Teil von mir würden je wieder ihm gehören. Er besaß keine Macht mehr über mein Leben, würde nur noch ein kleiner Erdhügel sein, weniger noch als eine Erinnerung. Ich würde vergessen, welche Farbe seine Augen hatten, welchen Klang seine alles beherrschende Stimme, welche Festigkeit seine kalten Umarmungen.
    In die Welt hinaus hätte ich es schreien mögen, der Morgensonne entgegen, das Tal hinunter zu den Rheinwogen, über die Wipfel der Bäume und alle Dörfer hinweg: Agapet ist tot. Er ist tot. Tot.
    Und wer weiß, vielleicht hätte ich es getan, wenn Elicia nicht in diesem Moment des Triumphs den Friedhof betreten hätte.

Kara
    Vergangene Nacht hatte ich wieder einen dieser Träume. Ich frage mich, was es mit ihnen, für die ich in meiner Heimat belächelt worden bin, auf sich hat. Vor ungefähr fünfzehn Jahren habe ich den Traum von letzter Nacht schon einmal geträumt, ich war höchstens sieben Jahre alt.
    Ich sehe das flache Land vor mir. Kein Hügel und kein Wald stört die Fernsicht. Alles ist Weite, die kniehohen Gräser biegen sich im Wind, der so wohltuend in den Ohren rauscht. Am Himmel spielen die Wolken nach, was auf Erden vor sich geht, denn es sind deren tausend und mehr, unzählbare Horden, sie kommen von Osten und ziehen nach Westen wie wir. Immer wieder wende ich meinen Blick zurück und zu den Seiten, ich kann mich nicht sattsehen an den Pferden und Reitern und den kleinen Sandwolken, die sie bei ihrem gemächlichen Ritt durch das neu eroberte Land aufwirbeln. Dazwischen trotten die Ziegenherden. Unsere Familie reitet mit anderen Fürsten und ihren Familien fast an der Spitze des Volkes. Ich sitze auf dem gleichen Pferd wie mein Bruder, dessen Hüfte ich umklammere, und meine Mutter reitet nur einen Steinwurf weit von uns entfernt, sich an meinen Vater Álmos klammernd, so wie auch meine Schwestern und Kusinen sich an ihren Brüdern und Vettern festhalten, obwohl diese manchmal um Jahre jünger sind als sie. Ich verstehe nicht, wieso sie nicht selbst reiten, und nehme mir vor, so bald wie möglich ein eigenes Pferd zu bekommen.
    Als jemand »Wasser, da ist Wasser« ruft, bricht Jubel aus, und von der Spitze sich langsam nach hinten fortsetzend, verbreitet sich die Nachricht. Im Galopp geht es nun voran, die ganze Ebene hinter mir ist gelber Staub, leuchtend in der Sonne. Und dort vor mir, tatsächlich, ist Wasser, ein See, so blau und groß, wie ich noch keinen gesehen habe. Kaum dass man das andere Ufer sieht. Wir trinken neben

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