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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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unseren Pferden aus diesem See, wir lachen, toben und baden.
    Dann sehe ich den Abend. In den See fällt eine rote Sonne. Meine Mutter und ich gehen ein Stück am Ufer entlang, als mir plötzlich das Grünzeug auffällt, das in Mengen im Wasser treibt.
    »Algen«, erklärt mir meine Mutter. »Nein, mein Schatz, die kann man nicht essen, wirf sie weg.«
    Sie sind so seltsam glitschig, dass sie mich zum Spaßmachen anregen. Ich nehme also eine Handvoll von ihnen und versuche, meine Mutter zu treffen, was mir jedoch nicht gelingt.
    »Na warte«, sagt meine Mutter und bewirft mich nun ihrerseits mit Algen, aber auch sie verfehlt mich. Es entsteht eine kleine, lustige Schlacht, die jedoch, was mich betrifft, an Ernst gewinnt. Ich setze alles daran, meine Mutter zu treffen, wohingegen sie sich nicht allzu viel Mühe gibt, was mich nur noch mehr reizt.
    Schließlich gelingt es mir. Ich treffe meine Mutter mit einer ekligen, glitschigen Alge mitten ins Gesicht, und mehr noch, das Ding haftet an ihrer Haut und zieht sich wie ein grünes Geschwür von der Stirn über das linke Auge, einen Nasenflügel und die Lippen bis zum Kinn. Ein komischer Anblick, eigentlich. Doch ich erschrecke.
    Meine Mutter nimmt sich die Alge vom Gesicht und lacht.
    Ich eile zu ihr. »Es tut mir leid, Mama, es tut mir ja so leid, bitte verzeih mir, ich habe das nicht gewollt, bei allen Göttern …«
    »Ist ja gut, mein Schatz, du hast mich nur nass gemacht, nicht umgebracht.«
    Sie amüsiert sich.
    Ich weine.
    Ich schwöre mir selbst, ihr nie wieder etwas anzutun.
    Als ich meiner Mutter damals von diesem Traum erzählte, sah sie mich erstaunt an und sagte: »Das ist kein Traum gewesen, mein Schatz, sondern es ist passiert. Vor zwei Jahren, erinnerst du dich nicht? Nein? Nun, du warst damals noch sehr, sehr jung. Doch es war genau so, wie du es geschildert hast.«
    »Aber ich habe es geträumt«, beharrte ich. »Letzte Nacht.«
    »Mag ja sein. Dann hast du allerdings die Wirklichkeit geträumt. Schon ein bisschen seltsam, denn normalerweise träumt man Dinge, die sich entweder nicht oder nur so ähnlich zugetragen haben und die sich manchmal mit anderen Geschehnissen vermischen. Oder – wenn die Götter ihre Hand im Spiel haben – Dinge, die sich erst noch zutragen werden. Jedenfalls sind die Priester dieser Meinung. Aber du musst dir keine Sorgen machen, du hast in diesem Traum nur das Erlebte wiederholt.«
    Meine Mutter hatte recht. Fortan träumte ich in großen Abständen von Dingen, die ich erlebt hatte und an deren Verlauf ich mich genau erinnerte. Nur an das Erlebnis am See konnte ich mich nie erinnern, vermutlich weil ich damals noch so jung gewesen war. Keiner dieser Träume war bedrohlich, nach keinem von ihnen erwachte ich mit einem schlechten Gefühl. Trotzdem blieb es merkwürdig, dass ich die Wirklichkeit in allen Einzelheiten nachträumte, und das mehrmals im Verlauf meiner Jugend.
    Den letzten dieser Träume hatte ich vor sieben Jahren nach dem Tod meines Vaters, und ich dachte schon, sie hätten endgültig aufgehört.
    Eben kam die stumme Dienerin herein. Sie brachte mir ein großes Stück Brot und einen kleinen Krug Wasser. Ich bat sie mit Gesten um mehr Wasser, aber sie lachte bloß auf – ein schreckliches Geräusch aus ihrem Mund wie von einem Tier –, und so hatte ich mich zu entscheiden, ob ich das Wasser zum Trinken oder zum Waschen benutzen wollte. Noch immer habe ich das Blut Agapets auf meiner Haut. Ich kann es weder sehen noch riechen noch schmecken, aber ich weiß, dass es da ist, denn es juckt auf meinem Rücken, kitzelt auf meinen Brüsten und brennt auf meinen Handflächen. Das raubt mir noch den Verstand, der mich geradezu anschreit, das Wasser für eine Wäsche zu benutzen. Trotzdem habe ich es getrunken. Wenn Körper und Geist ums Überleben ringen, ist der Körper der Überlegene. Er hat länger geübt. Er kämpft vom ersten Augenblick an gegen eine gnadenlose Welt, die ihn umzubringen versucht, als der Geist noch längst nicht begriffen hat, was um ihn herum vorgeht.
    Als die stumme Dienerin das Geschriebene bemerkte, das ich in den letzten Stunden mit einem scharfen Stein in die Wand geritzt hatte, stieß sie mich zur Seite und betrachtete es – Ungarisch, natürlich. Ich sah den Hass in ihren Augen. Mit einem Murren wandte sie sich ab und ging.
    Keiner in dieser Burg versteht auch nur ein einziges Wort Ungarisch, und sollten diese Leute noch einen anderen Ungarn gefangen nehmen und hierherbringen, wird er

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