Die Suendenburg
Unterredung mit ihm fand in meinem Gerichtssaal statt. Unter dem Vorwand, ihn besichtigen zu wollen, hatte der Herzog sich mit mir dorthin zurückgezogen. Ein schwacher Vorwand, wie ich bemerken möchte: Mein Gerichtssaal besteht – wie nahezu jeder Gerichtssaal – aus einem stattlichen Tisch, hinter dem ich sitze und richte, und einem Pult für den Schreiber. Schilder mit dem Stadtwappen, dem herzoglichen und dem königlichen Wappen zieren die Wand. Mehr ist nicht zu sehen. Da ich der Einzige bin, der bei den Verhandlungen sitzt, gibt es nur einen Stuhl. Als der Herzog dies bemerkte, gab er einem seiner Gefolgsleute brummig den Befehl, sofort einen zweiten Stuhl aufzutreiben, was nur wenige Augenblicke in Anspruch nahm. Mit einer missgelaunten Handbewegung wies er seinen Gefolgsmann an, wie er die beiden Stühle zu stellen habe. Da standen diese beiden hölzernen Gesellen, einsam und stumm wie ein altes Ehepaar Lehne an Lehne in Richtung der Fenster blickend. Durch das selten kostbare, gelbe Glas hindurch sah man auf den Marktplatz, doch leider hatte sich die Ankunft des Herzogs sowie sein derzeitiger Aufenthaltsort herumgesprochen, und ein paar Rotzbengel sowie neugieriges Volk drückten sich die Nasen platt bei dem Versuch, einen Blick auf den hohen Landesherrn zu werfen. Es dürfte ihnen allerdings nicht gelungen sein, mehr als Schemen zu sehen. Der Herzog und ich jedoch konnten sie und vor allem ihre platten Nasen und offenen Münder sehr gut sehen, und so fand das Gespräch in einer merkwürdigen Stimmung statt.
»Bitte, Vikar, setzt Euch.«
Ich zögerte, da mein Herr noch nicht Platz genommen hatte, doch nach einer Verbeugung tat ich wie mir befohlen. Seine Geste war ausgesprochen huldvoll und setzte sich fort, als ein Diener des Schultheißen zwei Kelche Wein brachte, die Herzog Burchard mit beiden Händen ergriff und mir einen davon höchstselbst überreichte. Seine Höflichkeit mir gegenüber war von der Art, wie man sie gegenüber jemandem walten lässt, den man entweder sehr schätzt oder sehr braucht – oder den man schon bald kalt lächelnd beseitigen wird.
»Bevor ich Hof in Tübingen halte«, begann er und leckte sich den roten Wein vom grauen Oberlippenbart, »wollte ich Euch unbedingt sprechen. Ihr wisst, wieso: Graf Agapets Tod.«
Ich wollte mich erheben, um den Fall darzulegen. Burchard gab mir zu verstehen, dass ich sitzen bleiben sollte. Es fiel mir schwer, mich angesichts eines stattlichen Herzogs zu konzentrieren, der hinter mir stand, sowie eines Bengels vor dem Fenster, der alles tat, um einen Blick auf denselben zu erhaschen.
»Ich erinnere mich eines Berichts, den ich Euer Hoheit übersandte.«
»Ich weiß, ich weiß. Ihr habt geschrieben, dass der Mord nicht zweifelsfrei aufgeklärt werden kann.«
»So ist es, Euer Hoheit. Es gibt Hinweise auf die eine oder den anderen, aber sie verdichten sich unglücklicherweise nicht zu einem lückenlosen Mosaik, aus dem erkennbar wäre …«
»Was ist mit der Heidin?«
»Sie hat es nicht getan, Euer Hoheit.«
»Wie könnt Ihr da so sicher sein?«
Ich hätte ihn fragen können, wie er sich sicher sein kann, dass sie es getan hat, aber Herzögen tritt man allenfalls auf den Fuß, wenn man es so einrichten kann, dass man schon wieder weg ist, bevor sie den Schmerz spüren.
»Gewiss, sie war am Ort der Tat und hatte einen Grund für den Mord, Euer Hoheit …«
»Also bitte.«
» … aber vieles spricht gegen ihre Schuld.«
»Ich finde, der Ort der Tat und der Grund genügen.«
»Nun ja …«
»Was ist mit Aistulf?«
»Wie bitte?«
»Könnte er das Verbrechen begangen haben?«
»Wie ich schon sagte, Euer Hoheit, manches spricht auch gegen ihn, doch ergibt sich kein …«
»Und Gräfin Claire?«
»Nun, sie ist …«
»Angeklagt.«
»Wie darf ich das verstehen, Euer Hoheit?«
»Baldur beschuldigt sie offiziell des Ehebruchs mit Aistulf, und falls sich das bewahrheitet, wäre das ein ungeheures Sakrileg, da sie einen Reinigungseid geleistet hat. Wer dazu fähig ist, ist auch fähig zu morden. Ihre Schuld drängt sich geradezu auf.«
Kurz vorher hatte sich noch Karas Schuld aufgedrängt.
»Ganz recht, Euer Hoheit, aber wenn sich etwas aufdrängt, lohnt es sich, zu fragen, warum es das mit solchem Eifer tut und ob sich dahinter eine völlig andere Geschichte verbirgt, die …«
»Ihr seid spitzfindig und redet verworrenes Zeug, Malvin von Birnau.«
»Wie Euer Hoheit belieben zu befinden.«
»Ihr seid zu nahe am Geschehen
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