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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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sich mit den Gesängen der drei traurigen Bardinnen, Frida, Franka und Ferhild, deren Stimmen plötzlich von irgendwo heranwehen, zart und leise klagend, ein Teil der Tragödie, die ihren Anfang mit Agapets Tod nahm und nun auf ihr Ende zugeht: Warum ist ’ s, dass immerfort / jenes Zeichen unsrem Blick / unsrem ahnungsvollen Geiste vorschwebt / dass ein dunkler Traum unseren Herrn uns nahm? Warum ist ’ s, dass immerfort / jenes Zeichen unsrem Blick / unsrem ahnungsvollen Geiste vorschwebt / dass der Liebe Licht bald sich verdunkelt in Scham?
    Obwohl es mir schwerfiel, ging ich nach meiner Ankunft nicht zu Elicia. Ich hätte ihr erklären müssen, was ich vorhabe, doch sie soll sich nicht mitschuldig fühlen. Ihr Gewissen soll so wenig wie möglich von dem Schmutz abkriegen, den meine Tat verspritzt.
    Stattdessen suchte ich Aistulf auf, was auch meine Pflicht war. Als ich ihm das von mir verfasste Dokument zeigte, in welchem seine Gemahlin des Mordes beschuldigt wird, erblasste er.
    »Das ist unerhört, Vikar. Vor vier Monaten seid Ihr abgereist mit der Begründung, der Mord an meinem Vorgänger sei nicht aufzuklären.«
    »Seither habe ich neue Erkenntnisse erhalten. Sollte Gräfin Claire zu Agapets Lebzeiten eine ehebrecherische Beziehung zu Euch unterhalten haben, aus der inzwischen ein Kind hervorging, hätte sie ein bedeutendes Interesse am Ableben ihres ersten Gemahls gehabt.«
    »Was erdreistet Ihr Euch! Meine Gemahlin ist von einer schweren Krankheit genesen, sie ist erst seit zwei Tagen wieder auf den Beinen, und Ihr unterstellt ihr die übelsten Taten. Wisst Ihr, wie sehr sie das treffen wird? Sie ist eine Frau von großer Güte. Zu so etwas wie einem Mord wäre sie nicht fähig.«
    Ich glaubte ihm, dass er daran glaubte. Sollte ich ihn beneiden oder bedauern, weil er überzeugt davon war, die Liebe sei etwas Reines? Mein lieber Aistulf, eine reine Liebe gibt es nicht, außer auf dem Papier. In der wahren Liebe finden sich das Beste und das Schrecklichste unseres Daseins. Liebe spricht alles heilig, was ihr nutzt. Liebe tötet, zerschmettert. Öffnet man ihr einmal die Tür, weiß man nicht, ob man einen Erzengel oder einen Meuchler einlässt oder beide. Das ist Liebe. Sie ist nicht edel, aber sie ist kühn und frei, von größter Schönheit, Ergebenheit und Gemeinheit, weshalb wir nicht müde werden, von ihr zu hören. Selbstverständlich ist Claire fähig, einen Mord zu begehen, da sie liebt. Auch ich, der Hüter des Rechts, bin dazu fähig.
    Und warum glaubte ich, dass er so naiv war, seine Frau vorbehaltlos für unschuldig und Liebe für rein zu halten? Weil er auch dem irrigen Glauben verhaftet war, mit seinen Ideen die Welt verändern zu können. Sümpfe trockenlegen, den Krieg abschaffen, die Armut bekämpfen – hehre Ziele, denen die Welt, die er zu verändern beabsichtigte, all ihren Widerstand entgegensetzte, an dem Aistulf früher oder später zerbrechen würde, und zwar auf die eine oder andere Weise. Er hatte die Wahl, beiseitegeschafft oder wie all die anderen zu werden.
    »Die Anklage wegen Ehebruchs und Meineids«, erklärte ich, »wurde von Baldur vorgebracht, und er wird den Beweis zu liefern haben.«
    »Das kann er nicht.«
    »Wir werden sehen. Morgen kommen wir zur Mittagsstunde zusammen, um Gericht zu halten. Ich benötige einen Saal und …«
    »Ich soll Gastgeber meiner eigenen Verurteilung werden?«
    »Da Ihr sagtet, dass die Gräfin noch schwach ist, halte ich es für das Beste, in der Burg zu verhandeln. Außerdem scheint Ihr anzunehmen, das Urteil sei ausgemachte Sache. Falls Baldur den Ehebruch nicht beweisen kann, hat Eure Gemahlin nichts zu befürchten, was den vermeintlichen Meineid angeht.«
    »Und wegen des Mordes?«
    »Eins nach dem anderen, Graf. Zunächst verhandeln wir wegen Meineids und Ehebruchs, und daraus ergibt sich dann das Weitere.«
    Bis dorthin handelte ich korrekt. Eine vorgebrachte Klage ist unbedingt zu verhandeln, das ist meine Aufgabe, und das Beinahe-Zehnmonatskind der Gräfin ist tatsächlich ein verdächtiger Umstand (bezeichnenderweise empörte sich Aistulf darüber, dass man der Gräfin einen Mord unterstellte, nicht aber, dass man sie des Ehebruchs bezichtigte).
    Mit tun sie alle leid: Aistulf, der nichts anderes als ich getan hat, nämlich ein Kind mit der Frau eines anderen Mannes zu zeugen; Claire, die genau wie Elicia der Ehe entfloh, um sich der Liebe in die Arme zu werfen, und nun dafür büßen soll; die Ungarin Kara, die schuldlos in das

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