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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Besitz gewisser Briefe gekommen ist … Ihr wisst nicht zufällig, wovon ich spreche?«
    Doch, von seinen Briefen an Agapet, in denen er sich seines Beistands versicherte für den Fall eines Streits mit dem König.
    Ich habe nur einen kurzen Augenblick gezögert. Bereits zu lange? Ich weiß es nicht. Die herzoglichen Augen unterzogen mich einer eingehenden Betrachtung.
    »Nein, Euer Hoheit. Briefe? Von wem an wen?«
    Er machte eine fahrige Handbewegung. »Nicht so wichtig. Es könnte sein, dass Aistulf mir Ärger bereitet, wenn ich ihn entmachte, das ist alles. Falls er jedoch eine ehebrecherische Beziehung zu einer Eidbrecherin unterhalten hat, dann … Wie auch immer. Wenn ich Baldur zum Graf von Breisach mache, muss ich mir sicher sein können, dass ich diese Entscheidung nicht bereue. Und deshalb werdet Ihr die Untersuchung des Mordes an Agapet wieder aufnehmen, zusätzlich zur Verhandlung wegen Eid- und Ehebruch der Gräfin.«
    Dem Herzog war ziemlich gleichgültig, wer Agapet getötet hatte, Hauptsache, Baldur war nicht der Täter. Und es war an mir, ihm einen Kopf zu bringen – oder mehrere Köpfe.
    Um mich für diese Aufgabe zu begeistern, sagte Burchard: »Ich habe eine Kommission einberufen, die einen schwäbischen Gesetzescodex verfassen soll, welcher das Reichsrecht ersetzen wird. Ich dachte daran, Euch, Malvin von Birnau, zum Vorsitzenden der ehrenwerten Kommission zu ernennen. Sie tritt allerdings in vier Wochen erstmals zusammen – vertraulich, versteht sich. Falls Ihr bis dahin die gestellte Aufgabe erfüllt habt, werde ich mich als ein in jeder Hinsicht dankbarer Herr erweisen. Mit zunehmender Macht benötige ich zunehmend viele Ratgeber. Falls Ihr jedoch die Aufgabe nicht baldigst erfüllen könntet, wäre das – wäre das äußerst bedauerlich.«
    Ich schrieb vor einigen Monaten, dass die Wahrheit – und damit auch die Moral – ein Begriff der Religion und der Rechtsprechung ist, nicht aber der Liebe. Ich stelle nun fest, dass sie auch kein Begriff der Politik ist. Insofern haben Liebe und Politik, Liebe und Macht etwas gemeinsam. Sie suchen keine Wahrheit und Moral, sie streben sie noch nicht einmal an, sie sind sich selbst genug. Wer sich ihnen verschreibt, wird durch sie verändert. Die Gesetze, die man sich selbst auferlegt hat, gelten nichts mehr, ebenso wenig wie die Gesetze, die einem von anderen auferlegt werden, Gott eingeschlossen. Wer für die Liebe empfänglich ist, kann von ihr in einen Rausch versetzt werden, in welchem die Aufsicht über das eigene Selbst kaum noch möglich ist, und wer für die Macht empfänglich ist, dem kann es genauso ergehen. So gesehen sind der Herzog und ich Verwandte im Geiste. Seine Aufforderung, auf die Burg zurückzukehren, war wie eine Verheißung für mich, ein Zeichen, vor dem ich mich gefürchtet und auf das ich gehofft habe: Elicia wiedersehen – und sie nie wieder verlassen, koste es, was es wolle.
    Ich bin es gewöhnt, Gericht zu halten, neuerdings auch über mich selbst. Ich, der ich das Tun anderer Tag für Tag bedenke, der ich menschliche Taten und Untaten aus dem Verborgenen ans Licht zerre und die Vergangenheit wie in einem Spiegel noch einmal gegenwärtig werden lasse, erkenne jetzt schon die Schuld, in die ich mich verstricken werde, indem ich die Wahrheit und die Moral einer Liebe wegen mit Füßen trete, so wie sie der Herzog und seinesgleichen der Macht wegen mit Füßen treten. Ich habe den Kampf verloren, den ich seit Monaten gegen mein altes Ich führe, und ich kann es noch nicht einmal aufrichtig bedauern, ihn verloren zu haben. Allenfalls kann ich mir ein Bedauern vormachen, um mein Gewissen zu beruhigen. Ich habe einen Entschluss gefasst, der das Leben einer ganzen Familie betrifft, und wenn ich sage Leben, so meine ich das im Wortsinn.
    Ich schreibe, um mich selbst anzuklagen und zu verteidigen. Allein das Urteil steht mir nicht zu. Es obliegt der Zukunft. Es obliegt jenem Leser eines fernen Zeitalters, dessen Augen über diese Zeilen fliegen.
    Gezeichnet am sechsundzwanzigsten Tag des April im Jahre des Herrn neunhundertzehnunddrei. Ich, Malvin von Birnau, Vikar von Konstanz, eröffne kraft der mir vom Herzog von Schwaben verliehenen Autorität die Verfahren wegen Meineids, Ehebruchs und Mordes gegen Claire von Langres, Gräfin von Breisach.
    Ich bin seit heute Abend zurück auf dem Sündenberg, wo die Welt in die Ferne rückt, wo es fast still ist und der Frühlingswind, wenn man genau hinhört, eine Melodie summt. Er mischt

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