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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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Fackelschein durch eine Ritze im Verschlag. Ein Körper wurde sichtbar. Ich zückte das Messer, kniete mich vorsichtig ins nasse Stroh, holte aus – und blickte plötzlich in Baldurs weit aufgerissene Augen. Ich erschrak: Er hatte mich entdeckt. Wie gelähmt verharrte ich. Wie lange? So lange man braucht, um bis eins zu zählen. Ich konnte nicht zustoßen und nicht weglaufen, obwohl ich wusste, dass ich eins von beidem hätte tun müssen. Oh, was für ein Tor ich war. Meine Angst hätte mich leicht alles kosten können. Baldur hätte mich mit einem einzigen Schlag bezwungen, wenn er nicht … Ich erschrak ein zweites Mal: Baldur war bereits tot. Seine Kehle war aufgeschlitzt, und ich kniete in seinem Blut.
    Hätte ich es wirklich getan? Ja, das hätte ich. Ja, ja, ja. Aber als ich schwitzend und schwer atmend auf dem Stroh der Scheune lag, halb ohnmächtig, dankte ich Gott, dass er mich davor bewahrt hatte, ein solch scheußliches, blutiges Verbrechen zu begehen. Wie lästerlich dieser Dank war, darüber war ich mir in jener Stunde nicht im Klaren, sondern erst später, als ich in mein Gemach zurückgekehrt war. Vor einem Kruzifix an der Wand schalt ich mich. Gewiss hatte nicht Gott Baldur die Kehle durchschnitten. Und er hieß es auch nicht gut, dass man Baldur die Kehle durchschnitten hatte, selbst wenn ich dadurch vor einem Verbrechen bewahrt worden war. Ich bat ihn um Verzeihung. Der Gekreuzigte – auf den ich auch jetzt blicke, während ich diese Zeilen schreibe – antwortete mir mit einem ironischen Lächeln, und inzwischen weiß ich auch, warum.
    Doch eins nach dem anderen.
    Für den Mord, den ich begehen wollte, hätte ich jemanden beschuldigen müssen, und ich war mir bis zum Schluss nicht sicher gewesen, wen ich dafür wählen sollte. Ich glaube, diese Frage hat mich vor der Tat mehr gequält als die bevorstehende Tat selbst.
    Aistulf: Auf den ersten Blick war er als Sündenbock unübertroffen. Er hätte guten Grund gehabt, sowohl Agapet wie auch Baldur zu töten, er wurde von Elicia gehasst, vom Herzog nicht geschätzt, und seine Ideen waren den Leuten der Grafschaft umso verdächtiger, je mehr sie ihnen zugutekamen. (Es scheint mir an der Widersprüchlichkeit des Menschen zu liegen, dass er lieber in einem erbärmlichen Zustand verharrt, den er kennt, als einen besseren Zustand, der Veränderungen mit sich bringt, anzustreben.) Wie dem auch sei, mit Aistulfs Verurteilung hätte ich mir nicht wenige Freunde gemacht. Andererseits war er äußerst intelligent. Er würde sich gut verteidigen, viele Fragen aufwerfen und damit vielleicht sogar mich in Gefahr bringen. Zumindest bestand die Möglichkeit, und Mörder – oder zukünftige Mörder – hassen nichts so sehr wie Unwägbarkeiten. Und noch ein anderer Gesichtspunkt sprach gegen ihn, denn ich hätte die Gräfin, die ich mochte, ins Unglück gestürzt.
    Bilhildis: Ich konnte sie nicht leiden, ich konnte ihren Gemahl nicht leiden, ich fand beide äußerst zweifelhaft. Bilhildis zu verurteilen, das hätte mein Gewissen am wenigsten belastet, da man Menschen gegenüber, die man nicht mag, von Natur aus ungerecht ist. Wenn ich ihre Beziehung zu Agapet offengelegt hätte, wäre auch ihr Grund sichtbar geworden, Agapet zu töten – Eifersucht wegen seiner jungen, ungarischen Eroberung. Elicia wäre eine Weile traurig über Bilhildis ’ Tod, und das Andenken an ihren Vater wäre beschädigt, doch das würde sich geben. Allerdings sprachen zwei Argumente dagegen, Bilhildis zu beschuldigen. Es wäre schwierig gewesen, ihren Grund für den Mord an Baldur darzulegen. Außerdem wusste sie zu viel über Elicia und mich, da Elicia sie über unsere Liebschaft ins Vertrauen gezogen hatte, was ich töricht fand, weil Bilhildis in meinen Augen eine Schlange war, der man nicht vertraut. Für den Fall, dass ich sie vor Gericht gebracht hätte, würde ich es ihr noch nicht einmal verübeln können, wenn sie sich an mir rächte.
    Kara: Sie war wehrlos. Sie hatte keine Gefolgschaft, ihre Gründe für die Morde an Agapet und Baldur lagen auf der Hand, sie war als Fremde von vornherein verdächtig, die Wände in ihrem Gefängnis waren beschriftet, sodass Gerüchte über Flüche und Zauberformeln die Runde machten … Es wäre sehr einfach, sie vor Gericht zu stellen und abzuurteilen, und hätte es mich nicht gegeben, hätte man das schon im letzten September getan. Wieso es nicht jetzt nachholen? Weil mich ihre Wehrlosigkeit störte. Ich war einfach nicht dafür geschaffen,

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