Die Suendenburg
mich, eine Fürstentochter, unter keinen Umständen verraten, eher stirbt er, denn die Götter würden solchen Verrat ahnden. Diese Leute hier dürfen nie erfahren, wen sie in ihre Gewalt gebracht haben. Ich glaube, das wäre mein Ende.
Elicia
Als ich heute Morgen den Friedhof betrat, um meine Mutter mit meinen Erkenntnissen über die Mordwaffe zu konfrontieren, sah ich ihr sofort an, dass sie in der Nacht geweint hatte.
»Guten Morgen, Liebes.«
»Guten Morgen, Mutter. Deine Trauerwache ist vorüber. Wenn du gestattest, werde ich nun für den Rest des Tages deinen Platz einnehmen.«
»Natürlich, gerne. Ich möchte dir noch erklären, weshalb ich …«
»Bevor du gehst, muss ich dir eine heikle Frage stellen. Sie hat mit dem Mord zu tun.«
»Deine Lippen sind ganz schmal, Liebes. Sie können so schön sein, so voll und weich, und du lässt sie verhärten. Klage mich nicht an wegen dieser Sache mit dem Begräbnis.«
»Sache!«, stieß ich hervor. »So nennst du das?« Doch ich wollte am frischen Grab meines Vaters keinen Streit heraufbeschwören. Sie hatte eine Entscheidung getroffen, die mir nicht gefiel, und ich hatte beschlossen, künftig meine eigenen Entscheidungen zu treffen, ohne Rücksicht auf sie. Mein Vater war tot, auf ihn hatte ich gehört, und ihm zuliebe hatte ich meiner Mutter stets alle Ehre erwiesen, obwohl mir das nicht immer leichtgefallen war.
»Es gibt Wichtigeres als meine Lippen«, sagte ich. »Allem voran die Sühne des Verbrechens. Ich werde tun, was getan werden muss, und ich habe bereits damit begonnen. Dieser Dolch lag auf dem Boden des Beckens, in dem Vater starb.« Ich zog die Waffe aus meinem Gewand und gab sie ihr. »Erkennst du ihn?«
Sie sah die Waffe nur kurz und mich viel länger an. »Ich habe ihn des Öfteren im Gemach deines Vaters gesehen.«
»Nein, das stimmt nicht ganz. Einige Wochen bevor Vater auf Feldzug gegen die heidnischen Ungarn ging, wurde ihm von einem Boten König Konrads eine silberne Kassette überbracht. Darin befanden sich ein Ring und ein Dolch. Erinnerst du dich?«
»Vage.«
»Ich war sofort von dem wunderschönen Ring angetan. Vater neckte mich, er nannte mich ein gieriges Weibsbild und versprach mir das Geschenk für den Fall, dass er siegreich vom Feldzug zurückkehren würde.«
Daraufhin verschlug es ihr – ich weiß auch nicht, warum – die Sprache. Sie sagte schließlich: »Davon weiß ich nichts.«
»Wie kannst du das nur vergessen? Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein König einem Grafen kostbare Geschenke macht. Vater hat die Kassette in die kleine Schatzkammer gebracht. Ich habe letzte Nacht einen Blick durch die Gitterstäbe in den Schatzraum geworfen. Die Kassette steht noch immer dort – allerdings geöffnet, und der Dolch fehlt.«
»Ich sagte ja, dass dein Vater den Dolch in seiner Kemenate herumliegen hatte. Jeder hätte ihn nehmen können. Deines Vaters Gemach war am Tag seiner Rückkehr wegen des Gelages nicht bewacht.«
»Dass den Dolch jeder hätte nehmen können, wenn er herumgelegen hätte, ist der Grund dafür, dass er nicht herumlag. Vater hätte etwas so Kostbares nicht für jedermann zugänglich gemacht. Und ich habe den Dolch nie bei ihm gesehen.«
»Wie solltest du auch? Agapet war auf Feldzug, du hast sein Gemach nach seinem Aufbruch nicht betreten. Ich allerdings durchaus, da Aistulf mehrmals in die Schatzkammer musste, um dort Steuergelder zu hinterlegen oder weil er Lieferanten bezahlen musste. Er bat mich des Öfteren, ihm die Schatzkammer aufzuschließen, und dabei durchquerte ich deines Vaters Gemach und der Dolch fiel mir auf.«
»Wie seltsam, ich war auch mehrmals dort, um die Tuniken hinzubringen, die ich Vater genäht habe. Gewiss wäre mir der Dolch aufgefallen. Doch das ist er nicht.«
Ich erwartete, dass sie etwas dazu sagen würde, aber sie bekam den Mund nicht auf, und ihr Blick irrlichterte umher.
»Nur zwei Menschen«, fuhr ich fort, »haben Schlüssel zur Schatzkammer: Vater und du. Nun erkläre mir, wie der Dolch aus der Kassette ins Bad kam.«
»Du willst doch damit nicht etwa behaupten …«
»Könnte es sein, dass jemand deinen Schlüssel an sich genommen hat, den du ganz unten in einem kleinen Loch in der Wand aufbewahrst, wie sogar ich weiß?«
Wir ließen uns eine Weile nicht aus den Augen. Ihr unsicherer Blick wurde fest.
»Deine Fragerei fällt mir lästig, Elicia.«
Und mehr wollte sie dazu nicht sagen.
Vielleicht ist sie ein bisschen verstört angesichts des Nachdrucks,
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