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Die Suendenburg

Die Suendenburg

Titel: Die Suendenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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mit dem ich sie befragt habe. Kalte Güsse, auch mündlicher Art, hat sie noch nie vertragen. Für sie musste das Leben stets in warmes Heu gewickelt sein, damit sie sich wohlfühlte, und mit Ausnahme der Tragödie um meinen Bruder Orendel hat sie es tatsächlich geschafft, das Leben genau dazu zu bringen.
    Ich gebe zu, dass in der Nacht vor diesem Gespräch ein paar böse Gedanken in mir aufblitzten, die kein gutes Licht auf meine Mutter warfen. Aber seitdem zwinge ich mich zur Gerechtigkeit. Außer der dringenden Vermutung, dass sich jemand mit einem Schlüssel Zugang zum Schatzraum verschafft und dort den Dolch entwendet hat, habe ich keine Anhaltspunkte. Es ist außerdem nicht ganz unmöglich, dass mein Vater die Waffe auf dem Feldzug bei sich trug, wenngleich Baldur sagt, dass er sie in diesem Fall bemerkt hätte. Dass mein Vater den sowohl in gegenständlicher wie in sinnbildlicher Hinsicht kostbaren Dolch einfach in seinem Gemach hat herumliegen lassen, halte ich hingegen für völlig ausgeschlossen, zumal ich ihn dort nicht gesehen habe.
    Wenn es nach meiner Mutter ginge, würde sie die Untersuchung für beendet erklären und die Ungarin bestrafen. Ich jedoch werde die Untersuchung fortsetzen. Sobald Baldur als Graf eingesetzt ist, wird es einfach für mich sein, Leute zu befragen, an die ich derzeit noch nicht mit voller Autorität herantreten kann.
    Die Zeit auf dem Friedhof tat mir gut. Ich ging durch die vergangenen Jahre, Tage, Stunden und Augenblicke mit meinem Vater wie in einem Garten spazieren. Geborgenheit ist ein seltsames Gefühl, das an den grässlichsten, unmöglichsten Orten eintreten kann, sofern der richtige Mensch an unserer Seite weilt, und meinem Vater gelang es, mir sogar sein Grab zu einem angenehmen Ort zu machen. Er war stets mein Mittler gewesen, der Versöhner zwischen mir und einer von mir nicht immer geliebten Welt.
    Es fing damit an, dass er mir die Bewohner der Burg nahegebracht hat. Das ist meine früheste Erinnerung an ihn. Als ich sechs Jahre alt und ohne gleichaltrige Freunde war, befreite er mich vor dem Alleinsein. Mein Bruder war noch sehr klein, und die mit mir gleichaltrigen Töchter und Söhne des Gesindes mieden mich. Meine Mutter sprach einen starken westfränkischen Akzent, den – weil Bilhildis stumm und mein Vater viel unterwegs war – auch ich annahm und für den ich von den Kindern der Burg verspottet wurde. Ich litt sehr unter der Ablehnung, bis mein Vater den ältesten Sohn von Bilhildis und Raimund dazu brachte, mich als Spielgefährtin zu akzeptieren und mir meinen Akzent auszutreiben. Ich weiß noch, wie meine Mutter sich dagegen widersetzte, dass die Grafentochter mit dem Kind des Leibdieners meines Vaters spielen durfte.
    Mit Erinnerungen ist es seltsam: Man weiß, dass das Erinnerte passiert ist, aber sie haben etwas Unwirkliches an sich. Dass und wie sehr ich meine Kindheit geliebt habe, habe ich erst heute am Grab begriffen, in der Zwiesprache mit demjenigen, dessen Tod die Kindheit restlos und endgültig beendete. Für die Welt – da brauche ich mir nichts vorzumachen – bin ich irgendjemand, eine beliebige kleine Edle auf einer beliebigen Burg am Rhein. Aber für meinen Vater war ich die Welt. Das ist vorbei. Für keinen anderen Menschen bin ich das nun noch. Ich bin fortan ganz auf mich allein gestellt.
    Gerade eben brachte Baldur mir Neuigkeiten. Ich kann nicht glauben, dass sie das getan hat.

Bilhildis
    Vor genau fünf Tagen starb Agapet, und seither geht es in dieser sonst so beschaulichen Burg drüber und drunter, wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt habe. Zwischen Elicia und der Gräfin ist ein regelrechter Krieg ausgebrochen, wer fortan die Herrin ist. Eigentlich haben wir nun zwei Gräfinnen, und ich bin das Eigentum von beiden.
    Vor drei Tagen, während Elicia ihre verspätete Totenwache an Agapets Grab gehalten hat, berief die Gräfin eine Versammlung ein. Es wurden geladen und kamen: Baldur als Kommandant der Wache und Schwiegersohn des verstorbenen Grafen, der Verweser Aistulf, der Abt des Klosters St. Trudpert, die Schultheißen und Geistlichen der nächstliegenden Gemarkungen und die Markträte von Breisach, Zähringen und Kolmar. Mein Gatte Raimund und ich blieben im Hintergrund, falls jemand etwas benötigt hätte.
    Die Gräfin gab die trauernde Witwe, weiß von Kopf bis Fuß, aber ich muss sagen, dass sie nicht unmäßig übertrieb. Sie rechtfertigte die überstürzte Grablege, nahm das Beileid der

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